Erlebte Rede/ narrated monologue

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Die Form der 'stummen indirekten Rede' als Pendant zur 'indirekten Rede' (vgl. Formen der Redewiedergabe) ist äußerst schwerfällig und wird deswegen nur sehr selten angewandt. Die Aufgabe, Gedanken und Gefühle in einem Modus mitzuteilen, in dem Figur und Erzähler gleichzeitig präsent sind, wird in der Regel von der Technik der 'erlebten Rede'übernommen. Dieser 'narrated monologue', wie Cohn sagt, wurde vor allem im 19. Jahrhundert von Autoren wie Gustave Flaubert und Henry James entwickelt.


Die 'erlebte Rede' ist ein zwischen mehreren Polen oszillierendes Phänomen: Zunächst überlagern sich in ihr die Stimme der Figur und die des Erzählers. Cohn zufolge werden in ihr die Gedanken einer Figur wiedergegeben, wobei der Erzählrahmen (vor allem in Form des Erzähltempus Imperfekt) aber beibehalten wird. Die 'erlebte Rede' kann entweder stark an den Erzähler gebunden bleiben oder sich mehr an der Figurensicht orientieren. Häufig kann man in der Erzählerstimme Spuren der Ausdrucksweise wiedererkennen, die dem Wortschatz oder der Stilschicht der Figur angehören.


Erkennbar wird 'erlebte Rede' oft, wenn in der vermeintlichen Erzählerrede deiktische (zeigende) Zeit- oder Raumadverbien vorkommen, die sich auf den Figurenstandpunkt beziehen (wie 'morgen, hier, nun'). Weitere Anzeichen für 'erlebte Rede' sind affektive und argumentative Interjektionen ('gewiß, jedoch'), emphatische Ausrufe ('ach!') und rhetorische Fragen.


Mit der 'direkten Rede' hat sie die Wortstellung gemeinsam, mit der 'indirekten Rede' die Verschiebung des Aussagesubjekts in die dritte Person. Schließlich ist nicht immer klar, ob es sich um ausgesprochene oder stumme Gedanken handelt.


Meistens wird die 'erlebte Rede' vom Erzähler situativ eingebettet, auch wenn eine ausdrückliche Ankündigung in Form eines 'verbum credendi' fehlt. Da der Erzähler bei der 'erlebten Rede' weniger stark vermittelnd eingreift, ist sie in einem höheren Maße 'mimesisfähig' (vgl. Mimesis) als der Gedankenbericht. Allerdings ist sie weniger 'mimesisfähig' als die verschiedenen Formen der 'stummen direkten Rede' bzw. des Inneren Monologs.


© SR


Sekundärliteratur:


1. D. Cohn: Transparent Minds. Narrative Modes for Presenting Consciousness in Fiction, Princeton, N.J. 1978.

2. M. Martinez / M. Scheffel: Einführung in die Erzähltheorie, München 1999.

3. J. Vogt: Aspekte erzählender Prosa, Opladen 1998, Kap.4.