Erich Auerbach

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* 09.11.1892, Berlin
† 13.10.1957, Wollingford / Connecticut

Vergleichender Literaturwissenschaftler und Romanist

Der Literaturwissenschaftler Erich Auerbach ist vor allem durch seine im Istanbuler Exil geschriebene Literaturgeschichte Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur (1946) bekannt geworden. Wie im Titel schon angedeutet, setzt er sich mit der Nachahmung von Wirklichkeit auseinander, also mit dem Realismus in der Literatur. Die antike Mimesisvorstellung und Poetik (z.B. Aristoteles´ Poetik) dienen ihm als Bezugspunkte. Die dort festgeschriebene Verknappung der Darstellung des Alltäglichen auf das Komische, des Bürgerlichen auf die Komödie, sieht er im Realismus des 19. Jahrhunderts überwunden:

"Indem Stendhal und Balzac beliebige Personen des täglichen Lebens in ihrer Bedingtheit von den zeitgeschichtlichen Umständen zu Gegenständen ernster, ja sogar tragischer Darstellung machten, zerbrachen sie die klassische Regel von der Unterscheidung der Höhenlagen, nach welcher das alltägliche und praktisch Wirkliche nur im Rahmen einer niederen oder mittleren Stilart, das heißt entweder als grotesk komisch oder als angenehme, leichte, bunte und elegante Unterhaltung seinen Platz in der Literatur haben dürfe." (S. 515)

Im modernen Realismus werde eine Entwicklung abgeschlossen, die sich in Deutschland vor allem mit dem Sturm und Drang und der Vorromantik vorbereitet habe. Aber der moderne "ernste Realismus" hat nach Auerbach noch andere Wegbereiter. Diese Revolution gegen die Antike, gegen die "Lehre der Höhenlagen", die seit dem 16. und 17. Jahrhundert die Poetiken und die Literaturproduktion bestimmen, findet ihre Vorläufer auch in der Bibel und in mittelalterlichen Texten:

"Vorher, sowohl während des ganzen Mittelalters wie auch noch in der Renaissance, hatte es einen ernsten Realismus gegeben; es war möglich gewesen, die alltäglichsten Vorgänge der Wirklichkeit in einem ernsten und bedeutendem Zusammenhang darzustellen, in der Dichtung und auch in der bildenden Kunst. Die Lehre von den Höhenlagen hatte keine allgemeine Geltung." (S. 516)

Die Bildung dieses "ernsten Realismus" wird als Resultat der "Geschichte Christi" gesehen, die "mit ihrer rücksichtslosen Mischung von alltäglich Wirklichem und höchster, erhabenster Tragik, die [...] antike Stilregel überwältigte." (S. 516)

Um die Entwicklung dieses "ernsten Realismus" nachzuzeichnen und damit eine Literaturgeschichte des Realismus zu schreiben, bedient sich Auerbach einer ungewöhnlichen Methode. Er sucht nicht nach Vollständigkeit – wie die meisten seiner Vorgänger – sondern sucht eine Anzahl von Texten heraus, die ihm im Laufe seiner philologischen Tätigkeit vertraut geworden sind. Seine Literaturgeschichte besteht folglich aus Einzeluntersuchungen (von Homer über Schiller bis zu Proust), die er jedoch als repräsentativ für eine bestimmte Wirklichkeitsdarstellung annimmt. Hier scheint er aus der Not eine Tugend gemacht zu haben, denn Auerbach war in Istanbul von der gesamten neueren internationalen Forschung ausgeschlossen. Die Verbindungen waren gekappt, der Wissenschaftler mußte sich mit dem ihm verbleibenden Material begnügen.

©rein

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