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Rede

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lat. oratio

Als Rede bezeichnet man eine monologische öffentliche Ansprache, die entweder "frei", mit Hilfe von Stichpunkten oder anhand eines ausformulierten Textes gehalten wird. Im Unterschied zu Referat bzw. Vortrag dient sie nicht nur der sachlichen Belehrung einer Zuhörerschaft, sondern versucht vor allem zu überzeugen und zwar mit Hilfe von "rhetorischen" Mitteln. Die Kunstlehre der Rede ist die Rhetorik, praktisch gesehen eine Anleitung zur Anfertigung von erfolgreichen Reden. In der Antike werden drei Formen der Rede nach Anlass und Intention unterschieden: Prototyp aller Reden ist die Gerichtsrede (genus iudiciale), mit der ein Anwalt anklagt oder verteidigt, um den oder die Richter für seine Darstellung des Sachverhalts zu gewinnen. Die epideiktische Rede (genus demonstrativum) dient dem Lob oder Tadel bei entsprechenden Anlässen, beispielsweise als Festrede, Gedenkrede oder Grabrede. Beratungsreden schließlich (genus deliberativum) dienen zur Mahnung oder Warnung der Zuhörerschaft und finden sich in der politischen Rede (Propaganda, Agitation), aber auch in religiösem Zusammenhang.

Die Geschichte der Rede beginnt im 5. Jahrhundert v. Chr., während des Niedergangs der Tyrannenherrschaften in Syrakus bzw. Athen, mit den Schriften von Korax und Teisias. Die Krisen der Neuordnung führten zu zahlreichen Konflikten von öffentlichem Interesse, die vor gewähltem Publikum dargestellt und gelöst werden mussten. Mit dem späteren Niedergang der Demokratie in den griechischen Stadtstaaten geht auch die Redekultur zunächst unter, ja sie gilt - wie später immer wieder - den Herrschern als verdächtig und wird verboten. Die Redekunst wird allenfalls auf die Lobrede beschränkt. In der römischen Republik sind es vor allem Cicero und Quintilian, die umfassende rhetorische Erziehungsprogramme entwerfen, in denen Tugendhaftigkeit, Allgemeinbildung, Kenntnis stilistischer Mittel und Übung an Vorbildern eine große Rolle spielen, um die allgemeine Fähigkeit des Menschen zur Beredsamkeit entfalten zu helfen: Der Redner soll zugleich beweisen, einnehmen und unterhalten. Das Ende der römischen Republik führt zwar wiederum zu einem Nischendasein der Rede besonders im Theater - die Fernwirkung Ciceros und Quintilians reicht jedoch bis in die Neuzeit.

Mit dem Rhetor und Kirchenvater Augustinus wird die Rhetorik für die christliche Heilslehre wichtig: Sie dient nicht nur der Bibelauslegung, sondern auch der Überzeugungsarbeit in der geistlichen Rede, der Predigt. Die Rhetorik bleibt bis in das 18. Jahrhundert Teil des Bildungssystems der artes liberales. Auch der Reformator Martin Luther verweist - selbst ein Meisterredner - auf die Wichtigkeit der (einfachen) Rede in der Gemeinde. Viele bedeutende Schriftsteller des 18. Jahrhunderts stehen ebenfalls in der christlichen Redetradition: u.a. Christoph Martin Wieland, Jean Paul, Johann Gottfried Herder, Johann Georg Forster und nicht zuletzt Johann Wolfgang Goethe.

Mit der französischen Revolution (Robespierre und Danton) gewinnt die politische Rede wieder Bedeutung - auch in Deutschland mit einem Höhepunkt im Frankfurter Parlament 1848 (u.a. Ludwig Uhland, Jacob Grimm), wo "Pathos, Erhabenheit und Bildersprache" den Ton bestimmen. Als weitere bedeutsame Redner des 19. Jahrhunderts gelten die politischen Kontrahenten Otto von Bismarck und Ferdinand Lassalle bzw. August Bebel. Anders als die antike Beratungsrede bleibt die Gerichtsrede bis weit in das 19. Jahrhundert wirkungsarm, da die Prozesse in der Regel als Geheimverfahren stattfinden.

Im 20. Jahrhundert fächert sich die Rhetorik bis zur Unkenntlichkeit auf und ist in allen Bereichen öffentlichen Lebens wirksam (Werbung, Presse, Rundfunk, Fernsehen usw.). Die politische Rede verliert in der Weimarer Republik durch die Ermordung von Walter Rathenau, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht wichtige Protagonisten. Mit der nationalsozialistischen Propaganda wird die Argumentationskunst verkürzt; die Rhetorik soll sachliche Argumente weniger verfeinern als von ihrem Fehlen ablenken helfen (demagogische Reden z.B. von Adolf Hitler und Joseph Goebbels). Die Rolle des öffentlichen Redners übernimmt der Exilant Thomas Mann mit seinen BBC-Rundfunkansprachen an die "deutschen Hörer"; nach 1945 sind Günter Grass, Heinrich Böll, Martin Walser, Walter Jens sowie Max Frisch weitere Schriftsteller, die politische Rednerarbeit wahrnehmen. In den sechziger Jahren gelten in der Bundesrepublik Franz Josef Strauss, Herbert Wehner und Rudi Dutschke als wirkungsmächtige politische Redner in verschiedenen Lagern.

Grundsätzlich dient die öffentliche Rede in der parlamentarischen Demokratie weniger der Überzeugungsarbeit als der nachträglichen Legitimierung von bereits getroffenen bzw. feststehenden Entscheidungen und steht damit strukturell dem genus demonstrativum näher als der politischen Rede im eigentlichen Sinne. Die Rhetorik wird in der Wirtschaft zunehmend in zweifelhafter verkürzter Form als 'Mogel'packung, etwa als Verkaufstraining für Manager usw. 'verbreitet'.

In den heutigen Massenmedien spielen längere Reden nur noch zu besonderen Anlässen eine Rolle (Neujahrsansprache des Bundeskanzlers). Die rituelle Funktion zeigt sich in einer skurrilen Variante etwa bei den Ansprachen des kubanischen Staatspräsidenten Fidel Castro, von denen hierzulande meist nur die mehrstündige Dauer erwähnt wird. Selbst im Hörmedium schlechthin, dem Rundfunk, ist die Sprechzeit inzwischen so stark begrenzt, dass ausgefeilte Reden nicht mehr ins "Format" passen. Fernsehsendungen sind zunehmend durch 'spontanen' Dialog gekennzeichnet, dessen Verfallsform in den mittäglichen Vorwurfs-Schlachten vorgeführt wird. Daneben bleibt der angloamerikanisch geprägte Gerichtsfilm (courtroom drama) eine beliebte Unterhaltungsform, die öffentliche Rede inszeniert. Diesem gesellschaftlichen Funktionsverlust der Rede wollen sogenannte Debattierclubs nach englischem Vorbild entgegenwirken, die neuerdings auch an deutschen Hochschulen und Schulen populär werden.

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Sekundärliteratur

  • G. Ueding: Grundriß der Rhetorik, Stuttgart 1994.
  • http://www.debattierclubs.de
  • K.-H. Göttert: Einführung in die Rhetorik, München 1994.