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Die Bibel oder Heilige Schrift ist die Gesamtheit der Texte, in denen die Geschichte des frühen Judentums als des von Jehova 'auserwählten Volkes' sowie die Lebens- und Leidensgeschichte Jesu von Nazareth berichtet und die christliche Lehre, wie sie von seinen Jüngern verbreitet wurde, dargelegt wird. Die Bibel ist damit historische und dogmatische Grundlage des Christentums als 'Buchreligion' und (neben der griechisch-römischen Antike) ein kulturelles Fundament der abendländischen Kultur. Darüber hinaus dürfte sie das weltweit verbreitetste Buch überhaupt sein (Übersetzung in mehr als 1000 Sprachen).

Die Bibel ist kein einheitlicher Text, sondern ein Aggregat von historisch und gattungspoetisch unterschiedlichen Texten zahlreicher (meist nicht mehr identifizierbarer) Verfasser. Die verbindliche Auswahl, also der biblische Kanon umfasst grundsätzlich die folgenden Textgruppen. (1) Im hebräisch verfassten Alten Testament ('Zeugnis'): die Gesetzesbücher (fünf Bücher Mosis, auch Tora (hebr. 'das Gesetz'); die Bücher der Propheten (Jesaja u.a.); die Schriften (Psalter u.a.). Eine vierte Gruppe, die Apokryphen (Weisheit Salomonis u.a.) wird von der protestantischen Tradition nur als 'Ergänzung' betrachtet. (2) Das Neue Testament, überwiegend griechisch abgefasst, enthält die Geschichtsbücher (vier Evangelien, Apostelgeschichte), die Briefe (vierzehn Paulus-Briefe u.a.) sowie die prophetische Offenbarung des Johannes (gr. Apokalypse).

In dieser Form ist die Bibel Resultat eines jahrtausendelangen Kanonisierungsprozesses, der von zahllosen Abschriften (es gibt keine 'Originale'), vielen Übersetzungen, von kontroversen Auswahlentscheidungen und Interpretationen (theologische Hermeneutik) geprägt ist. Wichtigste Stufen sind dabei die Kanonisierung des AT um 90 n. Chr., des NT um 400 n. Chr.; die griechische Übersetzung des AT, die so genannte Septuaginta (Werk der 'siebzig' Übersetzer) um 100 v. Chr., die lateinische Vulgata des Hieronymus (ab 382), lange Zeit verbindlich in der römisch-katholischen Kirche. Im germanischen Sprachraum finden sich seit dem 4. Jh. (Teil-) Übersetzungen auf gotischer, althochdeutscher und mittelhochdeutscher Sprachstufe, daneben viele popularisierende Nacherzählungen und Bilderbibeln.

Die Übersetzung zunächst des Neuen, dann des Alten Testaments durch Martin Luther (1522/34) war entscheidend für die Akzeptanz und kirchenpolitische Durchsetzung des protestantischen Glaubens in Deutschland, aber auch für die überregionale Vereinheitlichung der (neuhoch-)deutschen Sprache. Darüber hinaus hat die Bibel die deutsche Kulturgeschichte in ihren Grundlinien und unzähligen Einzelheiten geprägt. Weiterhin arbeiten kirchliche Institute an modernen Übersetzungen; allgemeine Anerkennung findet heute die Einheitsübersetzung der so genannten Jerusalemer Bibel.

Die literarische Wirkung der Bibel ist in Deutschland wie in anderen christlich geprägten Ländern kaum zu ermessen (und wurde Jahrhunderte lang durch Gottesdienst, religiöse Erziehung und die dort verwendete Textsorten wie Katechismus, biblische Geschichten, Kirchenlied verstärkt). Sie resultiert auch daraus, dass die Bibel nicht nur ein dogmatisches, sondern selbst ein eminent literarisches Werk ist, ein Ensemble von dichterischen und pragmatischen Gattungen (Mythos, Geschichtsbuch, Epos, Novelle, Lyrik, Brief, Predigt, Spruchdichtung, Vision u.a.). Weiterhin bieten sich die Figuren und Erzählstoffe (von der Schöpfungsgeschichte bis zur Kreuzigung Jesu) zur Nachdichtung an. Schließlich werden Einzelmotive, Sprachformen und Zitate in vielfältigen, auch nichtreligiösen Kontexten rezipiert und (bis hin zur Satire und Blasphemie) 'umfunktioniert'.

Einige (willkürliche) deutsche Beispiele: Die Kirchenlieder Luthers (16. Jh.) sind weitgehend Umdichtungen von biblischen Psalmen. Die Dichtung des Barock ist überwiegend geistliche Dichtung, besonders in der Lyrik (Ode, Sonett), entwickelt aber auch neue Formen (z.B. Grabreden), selbst in den Schelmenroman wandern religiöse Themen ein. Das Hauptwerk von Friedrich Gottlieb Klopstock, der im 18. Jahrhundert die deutsche Dichtersprache revolutionierte, das Epos Der Messias (1743/77) hat die Passion Christi zum Thema. Goethe, lebenslang in Distanz zur kirchlichen Religiosität, bekennt in Dichtung und Wahrheit: "fast ihr allein war ich meine sittliche Bildung schuldig, und die Begebenheiten, die Lehren, die Symbole, die Gleichnisse, alles hatte sich tief bei mir eingedrückt". In seinem Werk hat man mehr als eintausend Verweise auf die Bibel gezählt. Noch im fortschrittsgläubigen 19. Jahrhundert verfasst Friedrich Hebbel eine Judith-Tragödie, und 1928 antwortet der Erfolgsautor und Jungkommunist Bertolt Brecht auf die Frage nach dem Buch, das ihn am stärksten beeinflusst habe: "Sie werden lachen, die Bibel!"

© JV

Quelle

Sekundärliteratur