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Johann Wolfgang Goethe

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* 28.08.1749, Frankfurt am Main
† 22.03.1832, Weimar

Dichter und Schriftsteller, Naturforscher, Staatsminister

Auch eine sehr kurze Charakteristik Goethes sollte nicht absehen von dessen Wirkungsgeschichte, besonders von der langfristig prägenden Kanonisierung, die ihn zwischen 1870/71 und 1918 zum deutschen Klassiker schlechthin, zum "Dichterfürsten" und "Olympier" stilisiert und überhöht hat. Ein teils nationalistischer, teils quasi-religiöser Klassikerkult machte die historischen Konturen und inneren Widersprüche von Person und Lebensleistung, aber auch die provokative Qualität eines Werkes unkenntlich, welche die zeitgenössischen Leser - sei es enthusiastisch, sei es irritiert - immer wieder erfahren haben. Auch eine heutige Goethe-Lektüre muß sich darum bemühen, seine Schriften der nachwirkenden Vernebelung zu entziehen und im Spannungsfeld von Historizität und Aktualität 'neu' auf sich wirken zu lassen.

Richtig ist allerdings, daß Johann Wolfgang Goethe, der Bürgersohn aus Frankfurt, der schon in jungen Jahren zum (geadelten) Superminister eines deutschen Ministaates avancierte, auch jenseits seiner Amtspflichten eine außergewöhnliche Breite und Kontinuität von künstlerischen wie wissenschaftlichen Interessen, Aktivitäten und Projekten entfaltete. Verschiedentlich hat man ihn deshalb als den letzten 'universalen', alle Wissensbereiche umfassenden Geist gefeiert. Tatsächlich vollzieht und begleitet Goethe geradezu exemplarisch den Übergang aus einer überalterten Feudalordnung in die moderne bürgerliche Gesellschaft - anfangs mit großem Elan, später mit wachsender Skepsis. Die literarische Innovation ist dabei oft Indiz des mentalitätsgeschichtlichen Wandels. Erst "seit Goethes Straßburger Dichtungen", schreibt Walter Benjamin 1928, könne man "von der Befreiung der deutschen Lyrik aus den Kreisen der Beschreibung, Didaktik und Handlung reden"; und im Goethejahr 1932 bekräftigt der Festredner Thomas Mann: "Ein Befreier war er durch die Erregung des Gefühls und durch die analytische Erweiterung des Wissens vom Menschen."

In den ausbalancierten ästhetischen Gebilden, die die Literaturgeschichte später der 'Weimarer' Klassik zuschlagen wird, ringt er der "unverbesserlichen Verworrenheit der Menschen" (1780) utopische Momente der Versöhnung ab: erotisch als Selige Sehnsucht, zwischenmenschlich als "wahres Wort" und "reine Menschlichkeit" (so in Iphigenie auf Tauris), oder auch als elementarer Trost: "balde/ ruhest du auch."

Goethes Alterswerke, darunter zwei jahrzehntelang verfolgte Lebensprojekte - Faust. Der Tragödie zweiter Teil (1831) und Wilhelm Meisters Wanderjahre (1829) -, richten einen illusionslosen, aber keineswegs hoffnungslosen Blick auf die anbrechende "Zeit der Einseitigkeiten" und des "Maschinenwesens"; und bilanzieren zugleich, in individueller wie historischer Perspektive, die durchlebte Epoche (Dichtung und Wahrheit, 1831).

In der deutschen Literaturgeschichte, oder genauer: in der Geschichte der Poetik und Literaturästhetik hat Goethe zweimal epochale Wirkungen gezeitigt: zuerst als der unbestrittene Star der Genieästhetik des Sturm und Drang (Rede zum Shakespeares-Tag, 1772), der auch seinen Vordenker Johann Gottfried Herder aussticht und der deutschen Literatur mit dem Werther-Roman von 1774 erstmals Anschluß ans Weltniveau verschafft. Sodann, im vergleichweise kurzen Zusammenwirken mit Friedrich Schiller, als Begründer einer deutschen Klassik, deren Programm freilich nur teilweise realisiert wurde. Immerhin wurzeln hier poetologische Konzepte wie das von den Naturformen der Dichtung (1819), das schnell Allgemeingut wurde. Bei genauer Betrachtung ist die 'Weimarer Klassik' aber weniger 'Ausdruck von' als vielmehr 'Einspruch gegen' die Tendenzen des Zeitalters, und als Versuch einer 'Geschmacksdiktatur' nicht ganz falsch beschrieben; unter diesem Gesichtspunkt verweist sie auf Goethes Alterswerk, das die Zeitgenossen eher verstört denn erbaut hat.

Deutschlands größter Autor, und einer der wenigen mit unbezweifelter Weltgeltung, war nicht einfach nur ein bevorzugter Gegenstand deutscher Literaturwissenschaft: in der Abarbeitung an ihm hat sich die (Neu-)Germanistik im Kaiserreich, vom Positivismus bis zur Geistesgeschichte, erst als Fach konstituiert. Goethes Wirkungsgeschichte, sowohl die wechselnden Urteile über Person und Werk, als auch die Interpretation einzelner Texte, von Werther bis Faust, vom Heideröslein bis zu Wanderers Nachtlied, liest sich bis heute als exemplarisch-lehrreiche Methodengeschichte der germanistischen Literaturwissenschaft.

©JV

Wichtige Schrift

  • Goethes Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Hrsg. v. Erich Trunz, Hamburg/München 1948-1960. Neubearbeitung München 1981/1982.

Sekundärliteratur

  • W. Benjamin: Goethe, in: W. B.: Gesammelte Schriften, Band II, 2, Frankfurt/M. 1977, S.705-739.
  • K.O. Conrady: Goethe. Leben und Werk, 2 Bände, Königstein 1980 u.ö.
  • B. Jeßing: Johann Wolfgang Goethe, Stuttgart/Weimar 1995.