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Horaz: Von der Dichtkunst (De arte poetica) (veröffentlicht 14 v. Chr.)

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Der römische Dichter Horaz (65–8 v. Chr.) hat mit seiner knappen Schrift Von der Dichtkunst zwar keine einheitliche Poetik geschaffen, aber durch diesen in Hexametern verfaßten Lehrbrief prägenden Einfluß auf die Poetiken des Mittelalters, der Renaissance und noch des Klassizismus ausgeübt.

In assoziativer Manier beschäftigt er sich zunächst mit den Anforderungen, denen ein dichterisches Werk genügen muß, um anerkannt zu werden; in einem zweiten, kürzeren Teil dann mit dem Dichter. Was macht ihn überhaupt zum Dichter, dies ist die leitende Frage.

Horaz‘ grundlegende Forderung an Dichtung lautet: "Sei das Werk, wie es wolle, nur soll es geschlossen und einheitlich sein." (S. 5) Diese Betonung von Ganzheit und Geschlossenheit ist schon aus der Poetik des Aristoteles bekannt. Von der Literaturwissenschaft wird immer wieder betont, daß die lange Zeit unbekannte Poetik (erste dt. Übersetzung 1753) indirekt durch Horaz gewirkt habe.

An diese Forderung Horaz‘ nach Einheitlichkeit und Geschlossenheit des dichterischen Werkes knüpft auch seine Vorstellung, "eine Dichtung [solle] wie ein Gemälde" (S.27 "ut pictura poeisis") sein, an. Hier zielt er auf eine größtmögliche Anschaulichkeit und ästhetische Qualität des Textes.

Ähnlich wie Aristoteles fordert Horaz, daß der Dichter ein "kundiger Nachahmer" (S. 25) werden solle. Die Wirklichkeit sei mimetisch abzubilden. Die Dichtung wird somit 'wahrscheinlich', sie stellt das Mögliche dar. Daraus folgt, daß das Produkt schöpferischer Bemühungen den historischen Zeitumständen angemessen sein muß: "Die Eigentümlichkeit jeder Altersstufe mußt du kennzeichnen, mußt den sich wandelnden Naturen und Jahren das, was sie auszeichnet, geben." (S. 15) Aber nicht nur der Inhalt soll die dargestellte Zeit historisch einwandfrei abbilden, auch der Stil muß dem Gegenstand, der Situation, der Gattung und dem Alter sowie dem Charakter der handelnden Personen angemessen sein. Dies führt Horaz am Beispiel des Dramas aus, dessen Versmaß und Stilhöhe nicht nur zu den Untergattungen Komödie und Tragödie 'passen muß', sondern zu Stoff, Figuren und Handlungsgang. Auch die Vorschrift des fünfaktigen Dramas ist zum ersten Mal bei Horaz bekundet: "Ein Stück bleibe nicht unter dem fünften Akt noch gehe darüber, welches verlangt, daß man es zu sehen begehrt und wiederaufführt." (S. 17) Außerdem formuliert Horaz den Grundsatz, daß der Dichter sich einen Stoff wählen solle, den er selber bewältigen kann - im Zweifel solle er lieber einen bereits bekannten Stoff bearbeiten, als "Unbekanntes und Ungesagtes als erster [vorzulegen]". (S. 13) Immer vorausgesetzt, der bekannte Stoff wird zeitgemäß präsentiert.

Die wichtigste Feststellung aber, die Horaz im Blick auf Literatur machte, war, daß die Dichter, "entweder nützen [prodesse] oder erfreuen [delectare] wollen [...] oder zugleich, was erfreut und was nützlich fürs Leben ist, sagen." (S. 25) Produktion und Rezeption sind von einer Gefühls- und einer Verstandesseite getragen. Erstmalig werden bei Horaz Gefühl und Verstand als Kriterien der Dichtkunst miteinander verbunden. Außerdem formuliert er explizit die Funktion, die Literatur durch diese Vermischung erfüllen kann: Der Dichter soll "Süßes und Nützliches misch[en und] den Leser ergötzte(n) und gleichermaßen belehr(en)." (S. 27) Wer bis dato unter der Funktion von Dichtung nur die Unterhaltung und die Darstellung einer möglichen Wirklichkeit verstand, wird nun von einer neuen Funktion der Literatur: der Belehrung, überrascht - und neu herausgefordert.

Wie muß nun der Dichter beschaffen sein, der diesen Anforderung an die Gestaltung des dichterischen Werkes gerecht wird? Horaz antwortet darauf im zweiten Teil seiner Dichtkunst. Zunächst muß der Dichter, der die Welt nachahmen will, diese kennen, um vorbildliche Figuren wirklichkeitsgerecht zeichnen zu können. Horaz schreibt: "Wer gelernt hat, was man dem Vaterland schuldet, was seinen Freunden, wie man den Vater lieben soll, wie Bruder und Gastfreund, was die Pflicht des Senators, was die des Richters ist, welches die Rolle des Feldherrn, den man in den Krieg schickt – der versteht es bestimmt, einer jeden Person, was ihr zukommt, zu geben." (S. 25) Auch darf der Literat sich nicht auf seinen Kunstverstand oder sein Genie allein verlassen. Nur harte Arbeit, stetes Lernen und Begabung führen zur Vollkommenheit. Damit unterscheiden sich die römischen von den griechischen Dichtern: "Den Griechen verlieh die Muse Talent [...]. Römische Knaben erlernen, in langwieriger Rechnung, ein Ganzes in hundert Teile teilen." (S. 25) Dennoch bleibt die Dichtung der Griechen die Meßlatte für die römische Literatur. Die Römer werden damit zu Nachahmern im dreifachen Wortsinne: Sie ahmen die Natur, die Welt und – in stilistischer Hinsicht - die großen griechischen Vorbilder nach.

©rein

Quelle

  • Quintus Horatius Flaccus: Ars Poetica. Die Dichtkunst, Lateinisch / Deutsch, übers. u. mit einem Nachwort versehen von Eckart Schäfer, 2. Aufl., Stuttgart 1984.