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Karl Philipp Moritz

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* 15.09.1756, Hameln
† 26.06.1793, Berlin

deutscher Schriftsteller und Kunsttheoretiker

Karl Philipp Moritz ist nicht nur der 'Erfinder' des "psychologischen" Romans, ein wichtiger Vorläufer der modernen Psychologie, ein Erforscher der griechischen Mythologie und Neudenker der deutschen Verslehre, er ist auch der erste Autonomieästhetiker vor Kant.

All diese bedeutenden Leistungen wurden Moritz nicht in die Wiege gelegt: im Gegensatz zu vielen Zeitgenossen beschirmte nicht der Schutzraum eines protestantischen Pfarrhauses seine Kindheit und Jugend, vielmehr wuchs er in ärmlichen Verhältnissen als Sohn eines Militärmusikers in Hameln auf, wurde geprägt und bedrängt vom fanatischen Quietismus seines Vaters, brach die bei einem Radikalpietisten angetretene Hutmacherlehre in Braunschweig 1770 nach einem Selbstmordversuch ab, durfte durch Fürsprache eines Garnisonspfarrers dann zwar in Hannover das Gymnasium besuchen, litt dort aber weiterhin unter den Demütigungen, die seine Armut mit sich brachte. Ein Theologiestudium in Erfurt beendete er vorzeitig und auch der Versuch, sich einer der vielen zeitgenössischen umherziehenden Theatertruppen anzuschließen, mißlang.

In seinem großen autobiographischen Roman Anton Reiser schildert Moritz diese Leidensgeschichte seiner Jugendzeit in der Form eines Anti-Bildungsromans, dem er einen zweiten Roman, die (weniger bekannte) Parallelerzählung Andreas Hartknopf gegenüberstellt. Auch wenn Moritz während seines zweijährigen Italienaufenthaltes (1786-88) zum wichtigen Gesprächspartner Goethes in Rom wurde und auch wenn seine Ästhetikvorlesungen (seit 1789 als Professor für Theorie der schönen Künste an der Universität Berlin) von so berühmten Zeitgenossen wie Alexander von Humboldt, Wackenroder und Tieck besucht wurden: die Blessuren, die der trostlose Beginn seines Lebens bei ihm hinterlassen hatten, blieben unauslöschbar.

Vermutlich waren es aber auch diese Erfahrungen, die Moritz' Interesse an der Psychologie wachriefen und ihn das Magazin für Erfahrungsseelenkunde gründen ließen, eine der ersten psychologischen Zeitschriften Deutschlands. Anknüpfend an die Experimentalseelen-Lehre des Halleschen Arztes Johann Gottlob Krüger markiert die neue Wissenschaft der Erfahrungsseelenkunde einen entscheidenden Entwicklungsschritt in der Geschichte der empirischen Psychologie. Das Magazin ist eine Sammlung von Lebensgeschichten, Therapiebeispielen und Beobachtungen, die sich in bester popularphilosophischer Tradition als "Lesebuch für Gelehrte und Ungelehrte" versteht.

Wichtige Impulse gab Moritz auch der Ästhetik als einer theoretisch anspruchsvollen Begründung der Kunst: in dem Aufsatz Über die bildende Nachahmung des Schönen (1788) bestimmte er in radikaler Abgrenzung zur tradierten Wirkungsästhetik das Kunstwerk als ein autonomes Werk, das nicht auf einen außerästhetischen Zweck hin, etwa nach seiner Nützlichkeit, betrachtet werden dürfe. Vielmehr bestehe "das Wesen des Schönen eben in seiner Vollendung in sich selbst" (S. 565) und könne daher auch allein durch einen schöpferischen Nachvollzug, der die engen Grenzen einer rein intellektuellen Annäherung hinter sich lässt, angemessen rezipiert werden.

Moritz wurde unter seinen Zeitgenossen von Goethe über Schiller bis zu Jean Paul hochgeschätzt; seine ästhetische Theorie beeinflusste entscheidend die Autonomieästhetik der Klassik ebenso wie die Ästhetik-Konzepte der Romantik. Im Verlaufe des 19. Jahrhunderts geriet er zunächst mehr und mehr in Vergessenheit, bis Wilhelm Dilthey seine literatur- und geisteswissenschaftliche Wiederentdeckung einleitete. In jüngerer Zeit prägt vor allem das große Interesse am Anton Reiser und der Beginn eines psychologischen Erzählens die Moritz-Forschung.

©TvH

Quelle

  • Karl Philipp Moritz: Über die bildende Nachahmung des Schönen, in: Werke, hg. v. Horst Günther, 2. Bd., Frankfurt/M. 1981, S. 549-578, hier S. 565.

Wichtige Schriften

  • Magazin für Erfahrungsseelenkunde (1783-1793)
  • Anton Reiser (1785-1790)
  • Über die bildende Nachahmung des Schönen (1788)

Sekundärliteratur

  • R. Bezold: Popularphilosophie und Erfahrungsseelenkunde im Werk von Karl Philipp Moritz. Würzburg 1984.
  • L. Müller: Die kranke Seele und das Licht der Erkenntnis. K. Ph. Moritz' "Anton Reiser", Frankfurt/M. 1987.
  • H. J. Schrimpf: Karl Philipp Moritz. Stuttgart 1980.