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Personale Erzählsituation

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In der personalen Erzählsituation bestimmen die 'Innenperspektive', in der die Gedanken und Gefühle einer Figur "ausgeleuchtet" werden können, und die szenische Darstellung durch eine 'Reflektorfigur' (englisch auch 'showing') die Erzählung. Es wird in der Er- oder Sie-Form erzählt. Im "Idealfall" wird die Geschichte aus dem Blickwinkel nur einer Figur dargeboten, die natürlich durch ihren jeweiligen Bewußtseinshorizont beschränkt wird. Es kann nur erzählt werden, was diese Figur wahrnimmt oder denkt (dies geschieht oft in Form der erlebten Rede). Die personale Erzählsituation eignet sich also hervorragend für die Wiedergabe psychischer Prozesse. Deswegen ist sie oft im sogenannten 'Bewußtseinsroman' des 19. aber auch 20. Jahrhunderts zur Anwendung gekommen. Dennoch ergeben sich natürlich auch Schwierigkeiten aus der Beschränkung auf eine Figurenperspektive beziehungsweise deren 'point of view'. Zum einen ist eine gewisse Monotonie in der Erzählung kaum zu vermeiden, weshalb oftmals innerhalb dieser 'Erzählsituation' zwischen der Sicht verschiedener Figuren gewechselt wird ('Multiperspektive'). Außerdem kann es dem Autor Probleme bereiten, bestimmte Informationen (z.B. über Zeit oder Ort der Handlung) an den Leser zu bringen, da er sich freiwillig auf die Perspektive einer bestimmten Figur beschränkt hat. Hier kann es notwendig sein, die 'personale' Sicht kurzzeitig zu verlassen, um gewissermaßen 'auktorial' in das Geschehen einzugreifen.

Das Vorherrschen von Erzähltechniken wie Beschreibung oder szenische Darstellung (in Form dialogischer Partien) erweckt den Anschein, hier sei kaum noch ein Erzähler am Werk, der sich vermittelnd zwischen die Geschichte und den Leser stellt. Damit wird in der 'personalen Erzählsituation' ein sehr hoher Grad von "Unmittelbarkeit" erzeugt, die tatsächlich natürlich nur eine Wirklichkeitsillusion sein kann (vgl. Mimesis).

Eine Radikalisierung dieser personalen Erzählsituation hat Stanzel in der sogenannten 'neutralen Erzählsituation' gesehen. Hier ist nicht einmal mehr eine 'Reflektorfigur' auszumachen, vielmehr wird die Geschichte wie von einem unsichtbar bleibenden Beobachter oder einer Kamera (dem 'camera-eye') erzählt. Da die Erzählung von Bewußtseinsprozessen ausgeblendet wird (Formulierungen wie "dachte sie..." sind also nicht möglich), ist der Leser umso mehr aufgefordert, diese hinzuzufügen. Man könnte sagen, dass der Erzähler hier keine Reflexionen mehr darstellt, sondern lediglich Reflexe.

© SR

Sekundärliteratur

  • F.K. Stanzel: Typische Formen des Romans, Göttingen 1964.
  • F.K. Stanzel: Theorie des Erzählens, Göttingen 1989.
  • J. Vogt: Aspekte erzählender Prosa, 8. Aufl., Opladen 1998, Kap.2.