Gedichte über Dichtung

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Bertolt Brecht (1898-1956) und Gottfried Benn (1886-1956) sind nicht einfach nur zwei herausragende Lyriker deutscher Sprache im 20. Jahrhundert. Sie haben sich im Literaturbetrieb vor 1933 als Konkurrenten wahrgenommen, sind aber politisch wie poetisch sehr unterschiedliche Wege gegangen: Benn, ein schnell enttäuschter Sympathisant der Nationalsozialisten, verstummte für lange Zeit und erlebt erst in den frühen Jahren der Bundesrepublik eine zweite Blütezeit; der Marxist Brecht wurde von den Nazis ins Exil gezwungen, aus dem er - zögernd - ins kommunistische Teil-Deutschland zurückkehrt. Für Brecht ist Literatur - und damit auch die Lyrik - eine Form eingreifenden Denkens; Benn neigt von Beginn an zu einer ahistorischen, in gewisser Weise 'a-sozialen', radikal individualistischen Dichtungsauffassung und -praxis. Gemeinsam ist beiden Kontrahenten aber, daß sie die Form der Lyrik auch zur Reflexion des poetischen Schaffens und seiner Wirkungsmöglichkeiten selbst benutzen - also ihre je eigene implizite Poetik entwickeln. Ein Vergleich der Gedichte Über die Bauart langdauernder Werke (1929) von Brecht und und Fragmente (1950) von Benn kann die grundlegenden poetologischen Differenzen deutlich machen. Dabei wäre zu klären, welchen Stellenwert die Qualität des 'Unfertigen' bzw. 'Fragmentarischen' im einen wie im anderen Fall besitzt; auch der unterschiedliche historische Kontext beider Gedichte wäre zu bedenken.

©JV