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Parabel

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Die Parabel ist eine Gleichniserzählung und wird häufig zur didaktischen Literatur beziehungsweise zur sogenannten Lehrdichtung gezählt. Im Unterschied zu der verwandten Kleinform der Fabel, in der die Bedeutung des Erzählten formelhaft und explizit zugespitzt wird, werden in der Parabel Begebenheiten der menschlichen Welt erzählt, deren Bedeutung der Leser durch Analogieschluß ermitteln muß. Ebenso wie in der Fabel umfaßt diese Bedeutung oft ein bestimmtes Sozialverhalten (wie Nächstenliebe oder Toleranz). Allerdings ist seine Grundlage nicht in der Sphäre der Machtpolitik, sondern ursprünglich in einer meist religiösen Sittlichkeit angesiedelt.

Die literarische Tradition der Parabel ist im Vergleich zur Fabel weit weniger kontinuierlich und breit. Sie tritt nur selten als isolierte epische Form auf, dagegen findet man sie häufig als gleichnishafte Episode in eine epische, dramatische oder pragmatische Großform eingebettet. Dies gilt zum Beispiel für die Gleichniserzählungen des Neuen Testaments (wie das Gleichnis vom Verlorenen Sohn oder das vom barmherzigen Samariter), aber auch für die daran anknüpfenden parabolischen Exempla (Beispiele) in der mittelalterlichen Predigtliteratur bis hin zur Ringparabel in Lessings dramatischen Gedicht Nathan der Weise (1779), die ihrerseits aus der Novellensammlung Il Decamerone von Giovanni Boccaccio (um 1350) entlehnt ist. Mit dem wichtigsten Strukturmerkmal des Vergleichs von zwei unterschiedlichen Gegenstandsbereichen ist die Parabel besonders dazu geeignet, den Rezipienten zu aktivieren und auf eine künstlerische Weise verschiedene Erkenntnisprozesse zu befördern. Brechts "Parabelstücke", aber auch seine kurzen "Prosaparabeln" (wie zum Beispiel Geschichten vom Herrn Keuner, entstanden nach 1930) werden so zum Medium von Reflexion und Instruktion über das Verhalten in der Gesellschaft. Mit Franz Kafkas Parabelerzählungen dagegen wird die Zweideutigkeit, die mit dieser Form verbunden ist, zur prinzipiellen Unabschließbarkeit des Gleichnisses gesteigert. Ein einziger Sinn oder eine einzige schlüssige Interpretation läßt sich nicht mehr ermitteln. Der Sinn der Parabel selbst wird zum Ausdruck des "Verblendungszusammenhangs" einer entfremdeten Gesellschaft.

© JV und SR

Sekundärliteratur

  • J. Billen (Hg.): Die deutsche Parabel. Zur Theorie einer modernen Erzählform, Darmstadt 1986.
  • T. Elm (Hg.): Die Parabel. Parabolische Formen in der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts, Frankfurt/M. 1986.
  • T. Elm: Die moderne Parabel. Parabel und Parabolik in Theorie und Geschichte, München 1991.