Heinrich Mann : Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen (1905)

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Nicht zuletzt durch die Verfilmung wurde der Roman Professor Unrat zu einem der bekanntesten Werke von Heinrich Mann – der legendäre Blaue Engel von 1930 unter der Regie von Joseph von Sternberg mit Emil Jannings in der Titelrolle bedeutete übrigens für die Hauptdarstellerin Marlene Dietrich den Durchbruch zum Weltstar. Es geht um den alternden, durch und durch autoritären, machtbewußten Gymnasialprofessor Raat in einer kleinen Wilhelminischen Provinzstadt, die unschwer als Lübeck, Geburtstadt der Brüder Mann zu identifizieren ist. Raat drangsaliert seine Schüler auf höllische Weise, liebt nichts mehr als "Kirchhofsruhe herzustellen" und trägt den Spitznamen Unrat. Damit reiht sich dieser Roman ein in die Tradition sozialkritischer und satirischer Schul- und Schülerromane und -stücke, die ihren Auftakt mit Frank Wedekinds Frühlings Erwachen (1891) nahm und über die Schulkapitel in Thomas Manns Buddenbrooks (1901) bis zu Robert Musils Verwirrungen des Zöglings Törleß und Hermann Hesses Unterm Rad (beide 1906) reicht.

Aber Heinrich Mann rechnet nicht allein mit dem autoritären Schulsystem des Wilhelminismus ab. Er verstrickt seinen Helden, der auf der Suche nach unbotmäßigen Schülern eher zufällig in das ihm gänzlich fremde, halbseiden-erotische Milieu der attraktiven "Barfußtänzerin" Rosa Fröhlich gerät, in einen Konflikt, der weit über eine Schulsatire hinausweist. Unrats wachsende Zuneigung zur Tänzerin, deretwegen er seinen Beruf verliert und die er schließlich ganz und gar unstandesgemäß heiratet, erscheint als Prozeß, durch den er seine autoritäre Machtstellung selbst unterminiert. Er entfremdet sich dem von ihm so lange und heftig verteidigten Schul- und Gesellschaftssystem der strikten Ordnungen und Hierarchien, so daß er seiner bürgerlichen Identität letzten Endes verlustig geht (eine Entwicklung, die der Film in dieser Konsequenz nicht zeigt). Am Ende wird Unrat zum Kritiker jener Gesellschaft, die er als Professor mit Klauen und Zähnen so lange verteidigt hat. In seiner verruchten Villa, deren amoralisches Treiben die Bürger fasziniert, wird die "Entsittlichung" der Stadt vorangetrieben - vor dem Untergang aber wird die kleinstädtische Gesellschaft durch die Verhaftung Unrats bewahrt, als dieser bei einem Diebstahl ertappt wird. Insofern biegt die Satire das Geschehen in vermeintlich geordnete Bahnen zurück, nicht ohne aber mit der Karikierung der herrschenden Machtverhältnisse deren Strukturen schonungslos bloßgelegt zu haben.

Mit dem weiter gefaßten Anspruch eines satirisch-analytischen Gesellschaftsromans setzte Heinrich Mann dann im Untertan (1914/1918) seine Kritik am autoritären und chauvinistischen Sozialcharakter des Wilhelminischen (Klein-)Bürgertums mit großem Publikumserfolg zumal in der Weimarer Republik fort.

©WF

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