Jacques Derrida

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* 15. 07. 1930 El Biar, Algerien

Philosoph

Wie kaum ein anderer Denker der letzten dreißig Jahre hat Jacques Derrida vom Bereich der Kulturwissenschaften über Architektur bis hin zu den Rechtswissenschaften Breitenwirkung erzielt, indem er gewohnte Grenzziehungen zwischen Subjekt und Objekt, Geist und Körper, innen und außen, gut und böse, ja sogar zwischen wahr und falsch als von den herrschenden Kulturen gesetzte enthüllte, die von keinerlei letztem Sinn, keinem "transzendentalen Signifikat" oder Ursprung gestützt werden.

Nicht die Rehabilitierung der in den oben genannten Gegensätzen negativ belegten Begriffe ist sein Ziel, auch wenn dieser Nebeneffekt vielfach zum Ziel der von seinem Denken inspirierten Forscherinnen und Forscher geworden ist, indem sie das Randständige, Dazwischenliegende (das Böse, das Verdrängte, das Andere/Fremde) zu ihrem Gegenstand gemacht haben. Vielmehr geht es Derrida selbst um die grundsätzliche Dekonstruktion des Denkens in Oppositionen überhaupt, die als Grundlage starrer Strukturen das abendländische Begriffssystem bestimmen. Themen findet er unter anderen in Literatur, Philosophie, Kunst, Psychoanalyse, Anthropologie, Linguistik und Pädagogik, wo er den Spuren des von ihm kritisierten metaphysischen Denkens nachgeht. Infolge seiner radikalisierenden Auseinandersetzung mit der Zeichentheorie von Ferdinand de Saussure geht in seinem Schreiben auch die Grenze zwischen philosophischem und literarischem Schreiben verloren. Kritisch-Gegenstandsbezogen und sprachliches Verweisungsspiel zugleich: Gerade diese Konsequenz, die Theorie zur Grundlage der eigenen Schreibpraxis zu machen, setzt ihn dem Irrationalismusverdacht aus. Diesem Verdacht wie auch dem Vorwurf, er würde antihumanistisch denken, begegnet Derrida einerseits mit seinem politischen und pädagogischen Engagement, andererseits mit seinen späteren ethischen Arbeiten zu Themen der Verständigung im weiteren Sinne, beispielsweise über die Paradoxien der Freundschaft, der Demokratie und der schenkenden Gabe.

Grundlage der massiven Kritik seitens der etablierten Philosophie ist seine ablehnende Haltung gegenüber der Intention jeder Hermeneutik: seinen Gegenüber - sei es ein Sprecher, ein Text, eine Kultur - zu verstehen. Verständigung erscheint bei Derrida nicht als Suche nach Übereinstimmung, Ein-Stimmigkeit im Wortsinn, sondern als Bemühung, sich die Unterschiede zu erarbeiten und vor Augen zu führen, als Versuch, mit der Fremdheit oder den Widersprüchen umzugehen, ohne sie dem eigenen Denken bzw. der eigenen Wahrnehmung anzuverwandeln.

Diese Negation fixierbarer Bedeutung beruht auf der von ihm mitentwickelten poststrukturalen Zeichentheorie, deren Kernthese in etwa besagt, daß die Bedeutung von Zeichen nicht aus einer Identität zwischen Signifikat und Signifikant entsteht, sondern allein aufgrund der Differenz zu (allen) anderen Zeichen. Da man neue Signifikanten benötigt, um den Sinn eines Zeichens anzugeben, ist der Verstehende der Bedeutung stets nur auf der "Spur", ohne diese 'Flucht' des Sinns jemals anhalten zu können. Derrida benutzt dafür das Verb différer, welches mit 'aufschieben' und mit 'verschwinden' zugleich übersetzt werden müßte, und erhält damit die für ihn typische Pointierung der Unentscheidbarkeit des Sinns in den von ihm verwendeten und dekonstruierten Begriffen aufrecht. Aus dieser Philosophie des Zeichens ergibt sich, daß Bedeutung keinen dem "Spiel" der Zeichen äußerlichen Ursprung haben kann.

Seine Kritik der Zeichentheorie weitet Derrida aus, wenn bei ihm das Problem der Identität des Zeichens mit seiner Bedeutung zu einem Problem von Identität schlechthin wird, Identität als Einheit erscheint dann nur in Bezugnahme gerade auf das Ausgegrenzte möglich.

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Wichtige Schriften

Sekundärliteratur