Startseite
Achtung, öffnet in einem neuen Fenster. PDFDruckenE-Mail

Der Abenteuerroman läßt sich für das 20. Jahrhundert nur schwer als ein feststehendes Genre mit eindeutigen Konventionen beschreiben. Doch ist die Abenteuerhandlung in viele andere Romantypen eingezogen und verhilft ihnen zu großem Erfolg beim Lesepublikum - vom abenteuerlichen Film ganz zu schweigen.

Wichtigstes Kennzeichen des klassischen Abenteuerromans ist die realistische Darstellung eines an Handlungsfülle orientierten Geschehens. Schnell wechselnde Situationen und Schauplätze sowie fremdartiges Ambiente, in dem sich teils phantastische Ereignisse zutragen, erzeugen Spannung und sorgen für Unterhaltung.

Natürlich reicht die Darstellung von Abenteuerhandlungen weit in der Literaturgeschichte zurück: Das babylonisches Gilgamesch-Epos (2. Jt. v.Chr.) oder die antike Hochliteratur mit den Homerischen Epen (8. Jh. v.Chr.) können durchaus als Vorläufer angesehen werden. Im Mittelalter sind es die auf keltischen Sagen beruhenden Artus-Romane des Chrestien de Troyes (und seine zahlreichen Nachbildungen und Bearbeitungen), die vielfältige Abenteuerstoffe transportieren. Ähnlich verhält es sich mit der mittelalterlichen Spielmannsdichtung (Herzog Ernst, 1186), den frühbarocken Ritterromanen des 16. Jahrhunderts (wie dem Amadis von Gallien, 1508) sowie den gleichzeitigen entstandenen Volksbüchern (Fortunatus, 1509). Sinnvoll läßt sich allerdings erst von einem Genre des Abenteuerromans sprechen, wenn die Abenteuerhandlung einen eigenständigen Unterhaltungswert besitzt und nicht im Dienste anderer (religiöser, ritterlicher, identitätsbildender usw.) Paradigmen steht. Im Abenteuerroman werden bestimmte Situationen nicht mehr als Bewährungsproben gesucht, sondern die Ereignisse stoßen den Figuren zu, sie sind ihnen ausgesetzt. Diese Konstellation läßt sich erstmals deutlich am Schelmenroman beobachten, wie er im spanischen Barock entsteht.

Hier sind die unterschiedlichen Begebenheiten nur locker miteinander verbunden. Immer wieder durchkreuzen eingeschobene Geschichten und Episoden den einsträngigen Handlungsverlauf, der ein vorgegebenes Ziel nicht mehr erkennen läßt. Der Held dieses Romantyps bricht auf in die Fremde und bleibt ein Umherziehender in einer fremden, zu erobernden Welt. Er muß Prüfungen bestehen, doch durchläuft er keineswegs eine Entwicklung, an deren Ende eine reife und gefestigte Persönlichkeit steht (wie sie dem späteren Bildungsroman vorschwebt). Den Prototyp des Schelmenromans bildet der anonyme Lazarillo de Tormes (1554). Er hat zahlreiche Nachahmungen erfahren wie den Gil Blas des Franzosen Alain-René Lesage (1715) oder Johann Jacob Christoffel von Grimmelshausens Simplicissimus (1669). Der wiederum wurde für die sogenannten 'Simpliziaden' prägend.

Andere Formen nehmen Abenteuerstoffe z.B. in den 'Robinsonaden' an, die sich von Daniel Defoes Robinson Crusoe (1719/20) herschreiben. Eine in Deutschland erfolgreiche Version dieses Typs wurde Johann Gottfried Schnabels Die Insel Felsenburg (1731-42). Auch Räuber- und Lügenromane des 18. Jahrhunderts können dem Abenteuergenre zugerechnet werden. Zudem entsteht nach 1800 der Western (von James Fenimore Cooper bis Karl May), der sich bis ins 20. Jahrhundert - nicht zuletzt im Medium des Films - größter Beliebtheit erfreut.

Mit historisierenden Abenteuerromanen wie Der Graf von Monte Christo (1846) oder Die drei Musketiere (1844-47) feierte Alexandre Dumas d.Ä. im 19. Jahrhundert große Erfolge. Durch die Publikation als Fortsetzungsroman im Feuilleton und die zunehmende literarische Massenproduktion haftet dem Genre aber seit dieser Zeit der Ruf des Trivialen an. Beispiele für Abenteuerromane aus dem Bereich der sogenannten Hochliteratur finden sich aber auch noch im 20. Jahrhundert. Landstreicher (Hermann Hesses Knulp, 1915), Hochstapler (Thomas Manns Felix Krull, 1954) oder sozialkritische Schelme (Günter Grass´ Oskar Matzerath in der Blechtrommel, 1959) haben ihren Autoren immerhin Nobelpreise eingebracht.

© SR

Sekundärliteratur

  • V. Klotz: Abenteuer-Romane: Sue, Dumas, Ferry, Retcliffe, May, Verne, München 1979.
  • O.F. Best: Abenteuer. Wonnetraum aus Flucht und Ferne. Geschichte und Deutung, Frankfurt/M. 1980.
  • H. Pleticha und S. Augustin: Lexikon der Abenteuer- und Reiseliteratur von Afrika bis Winnetou, Stuttgart u.a. 1999.