Günter Grass

Drucken

* 16. 10. 1927, Danzig

Erzähler und Essayist, Zeichner und Bildhauer

Gemessen an der öffentlichen Wirksamkeit ist Grass nicht nur wichtigster Repräsentant einer 'zweiten'Generation in der Literatur der Bundesrepublik, sondern - neben Heinrich Böll - deren bedeutendster Autor. Auch bei ihm macht die erzählerische Aufarbeitung sozialer Milieus und zeittypischer Erfahrungen in Form des Romans den Grundstock seines Werkes aus. Die Herkunft aus dem katholisch geprägten Danziger Kleinbürgertum und die dort verlebte Kindheit prägen seine Erzählwelt regional und soziologisch. Jugendjahre im Dritten Reich, Erfahrungen als Luftwaffenhelfer und Soldat (Verwundung 1945) hinterließen nachhaltige Spuren. - Zur Grundhaltung des kritischen Pragmatismus trat dauerhaft die Betonung des Handwerklichen in der Kunst, die in entscheidenden Teilen aus der Steinmetzlehre und dem Studium von Malerei und Bildhauerei (seit 1947) abzuleiten ist.

Mit dem Roman Die Blechtrommel gelang dem in Paris lebenden Grass 1959 ein Sensationserfolg, der den Durchbruch der westdeutschen Nachkriegsliteratur auf dem internationalen Markt belegte. In der Bundesrepublik zog er sich durch die Blechtrommel allerdings auch den Vorwurf der Blasphemie und Pornographie zu. Das gleichwohl andauernde Leserinteresse und der Welterfolg der Verfilmung (Regie: Volker Schlöndorff und Margarethe von Trotta, 1979) machten die Zugehörigkeit dieses Werkes zur Weltliteratur sichtbar. Anhand der Lebensgeschichte des 'Blechtrommlers' Oskar Mazerath wird darin, präzise und grotesk zugleich, ein Doppelbild von Nazi- und Nachkriegszeit gezeichnet. Fabulierlust und Sprachphantasie verbinden sich mit dem entlarvenden Blick für historische Situationen und Verhaltensweisen. Das gilt fast ebenso für die aus dem Blechtrommel-Komplex herausgelöste Novelle Katz und Maus (1961) und den Roman Hundejahre (1963): drei Bücher des Protests gegen Massensuggestion, Kriegswahn und Vergangenheitsverleugnung, die Grass nachträglich zu einer 'Danziger Trilogie' zusammenfaßte.

Der darin spürbare anti-ideologische Affekt brachte Grass in den sechziger Jahren in Gegensatz zur Studentenbewegung. In Drama (Die Plebejer proben den Aufstand, 1966), Roman (Örtlich betäubt, 1969) und dem fiktionalisierten Tagebuch einer Schnecke, (1972) setzte er sich polemisch abgrenzend mit radikalen Konzepten der Linken auseinander; gleichzeitig engagierte er sich während der gesamten sechziger Jahre als Wahlkämpfer für die 'ES-PE-DE' und Willy Brandt.

In den siebziger und achtziger Jahren kehrte Grass zu seiner erzählerischen Grundsituation zurück, zum Ich-Erzähler, der sich erinnernd und fabulierend seiner Vergangenheit und Gegenwart versichert. Er erweitert dieses Modell jedoch erheblich: Im Roman Der Butt (1977) wird dieser Zeitraum gattungsgeschichtlich bis in die frühe Steinzeit ausgeweitet. Ein weiterer großangelegter Roman, Die Rättin (1986), entwirft einen apokalyptischen Zukunftshorizont für die Gattung Mensch und versucht, das Erzählen radikal an gegenwärtige Ängste heranzuführen. - Mit dem Roman Ein weites Feld (1995), der ironisch aktualisierend mit der Figur des preußischen Romanciers Theodor Fontane spielt, aber auch mit seinen kritischen, ja erbitterten Kommentaren zu den Prozeduren der deutschen Wiedervereinigung löste Grass wieder einmal heftige öffentliche Kontroversen aus. Zur Überraschung der deutschen Öffentlichkeit wie auch des Autors selbst wurde er im Jahr 1999 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet, was allgemein als Anerkennung sowohl seines Erzählwerks wie auch seiner Rolle als politischer Intellektueller verstanden wurde.

©JV

Wichtige Schriften

Sekundärliteratur