Romantheorie im Roman

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In der Entwicklungsgeschichte des modernen Romans ist die wachsende Bedeutung erörternder, reflektierender, essayistischer (und insofern nicht-narrativer) Textelemente in quantitativer wie in qualitativer Hinsicht auffällig.

Formal können solche Reflexionen entweder den Figuren (in Form von Gedankenberichten, inneren Monologen usw.) zugeordnet werden oder von der Erzählinstanz selber verantwortet werden (als auktoriale Reflexion, als einmontierter Essay usw.). Inhaltlich können sie das Verhalten und die Psychologie der Handlungsfiguren betreffen, aber auch grundsätzliche Probleme aus allen Lebensbereichen - vom alltäglichen Leben bis zu den 'letzten Fragen' von Philosophie und Religion. In unserem Zusammenhang interessiert vor allem die implizite Poetik, besonders die implizite Romanpoetik, die in solchen Partien entwickelt werden kann. Gerade weil der Roman lange Zeit als Gattung ohne Poetik (im traditionellen Sinn) zurechtkommen muß, wächst das Bedürfnis, über die eigenen Möglichkeiten und Grenzen zu reflektieren.

Besonders umfangreich und intensiv geschieht dies in vielen Romanen der sogenannten Klassischen Moderne, in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Ein ganzes Kapitel aus dem Roman von Thomas Mann: Der Zauberberg (1924) ist beispielsweise der Frage gewidmet, ob man "die Zeit erzählen" kann - also einer poetologischen Grundfrage besonders der epischen Dichtung. In einem nicht weniger wichtigen Erzählwerk der Zwischenkriegszeit, dem (fragmentarisch gebliebenen) Roman von Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften (1. Bd. 1930) thematisiert eine kleine Episode ebenfalls die chronologische Struktur des Romans (bzw. der Erzählung), darüber hinaus aber auch das grundlegende, fast anthropologische Bedürfnis nach Erzählung. Ein Vergleich beider Partien könnte neben den inhaltlichen Gesichtspunkten auch die Frage der (erzähltechnischen) Einbindung in den Rahmen des narrativen Textes berücksichtigen.

© JV