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Adolf Bartels: Geschichte der deutschen Literatur (1901/1902)

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In seiner Geschichte der deutschen Literatur deutet Adolf Bartels nicht nur die völkische Entwicklung der Deutschen als Kulturvolk aus der Vermischung mit Romanen, Slaven, Kelten – hier befindet er sich noch in relativer Nähe zu dem frühen Joseph Nadler – sondern zeichnet die Deutschen in jeder Hinsicht als dominant, sowohl was ihre rassische als auch ihre literarische Entwicklung angeht. "Im Kern bleiben wir immer das alte nordische Volk der männlichen und sittlichen Instinkte, die uns die fremden Beobachter von alten Zeiten her bis in die Gegenwart, von Tacitus bis Taine, zuschreiben, im Grunde bleibt unsere Kultur erdgeboren, bodenständig, viel individualistischer als die irgendeines anderen Volkes." (S. 4f.)

In der Literatur als "Spiegelbild" des deutschen Wesens und der deutschen Kultur zeige sich diese Dominanz darin, daß die deutsche Literatur Vorgängerin aller anderen nationalen literarischen Entwicklungen sei:

"Die Geschichte der deutschen Literatur (ist), obschon sie doch auch ihre Gesetze hat, vielfach eine Geschichte der Überraschungen. Man kann bei uns nie sagen, was kommt: plötzlich treten Erscheinungen auf, die ganz neue Richtungen vorbilden, die alles das schon haben, was dann die allgemeine Literaturentwicklung langsam nachholt, ja, die oft so vereinzelt, so erdgebunden sind, daß sich ihnen in den fremden Entwicklungen gar nichts vergleichen läßt; man kann dies sogar als die Regel hinstellen. Welche neuere europäische Nation hat noch ein wirkliches Volksepos auf mythischer Grundlage wie wir Deutschen? Bei welcher fände sich ein Volksschriftsteller wie Luther? Bei welcher ein universaler Poet wie Goethe? Aber selbst minder bedeutende Erscheinungen sind oft von überraschender Selbständigkeit und viel früher da als die verwandten Erscheinungen bei anderen Nationen. So gibt Grimmelshausen, mag er immerhin von dem spanischen Schelmenroman angeregt sein, den ersten psychologischen Entwicklungsroman, lange vor Lasage und Fielding, und nimmt sogar die Robinsonade vorweg, so schreibt Lessing, ob er auch von Diderot und den Engländern Einflüsse erfahren hat, die erste wirklich moderne Tragödie ('Emilia Galotti'), so begründet Jeremias Gotthelf im letzten Jahrhundert den Naturalismus und die Heimatkunst, und Friedrich Hebbel schafft lange vor Ibsen das Problemdrama – von so allgemeinen in Deutschland entstehenden und dann ganz Europa nach sich ziehenden Bewegungen wie die Romantik ganz abgesehen. [...] Das ist die große Ursprünglichkeit der deutschen Dichtung, die zuletzt auf die unverändert starke Wirkung des germanischen Blutes zurückzuführen ist." (S. 7f.)

Und es ist genau dieses "germanische Blut", daß Bartels mit seiner Literaturgeschichte zu stärken gedenkt. In dem Vorwort zur ersten Auflage schreibt er 1901 zur Funktion seines Werkes: "[Ich mußte] jede Gelegenheit benutzen, den Stolz auf unser deutsches Volkstum zu stärken und das nationale Gewissen zu schärfen – ist doch vielleicht die Zeit nahe, wo deutsche Natur und Kultur die letzte und schwerste Probe zu bestehen haben wird." (S. VII) Auf wessen Kosten diese Stärkung vornehmlich stattfindet, erfährt man nicht nur in den einzelnen Kapiteln von Bartels Geschichte der deutschen Literatur, wenn er z.B. Heinrich Heine als "verbummelte[n] freche[n] kleine[n] deutsche[n] Jude[n]" bezeichnet, sondern schon in seinem Vorwort zur dritten und vierten Auflage (1904), wenn er sich mit den Reaktionen auf seine Literaturgeschichte auseinandersetzt:

"Im übrigen weiß ich natürlich und weiß auch jeder mit den heutigen deutschen Verhältnissen einigermaßen Vertraute, daß der Kampf gegen mein Buch im Grunde nicht wissenschaftliche, sondern persönliche und 'rassenhafte' Motive hat – man liebt mein gerades Urteil nicht, und wer das Judentum, und sei es auch notgedrungen, angreift oder nur richtig charakterisiert, wird in Deutschland ja ohne weiteres verdammt. Einstweilen wenigstens noch nicht verbrannt, und so will ich denn ruhig fortfahren, wie ich begonnen habe: Unser geistiges Leben darf nicht den Geschäftsinteressen einer fremden Rasse ausgeliefertwerden." (S. X)

©rein

Quelle

  • Adolf Bartels: Geschichte der deutschen Literatur [1901/1902], 5. u. 6. Aufl., Leipzig 1909.