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Die feministische Literaturwissenschaft einheitliche Methode gibt es nicht; es gibt allenfalls viele heterogene Ansätze, die zeitweise unter dem Oberbegriff "Feminismus" zusammengefaßt wurden. Dabei reichen die methodischen Vorlieben und Anknüpfungspunkte von der Psychoanalyse über die historische Diskursanalyse bis zum Poststrukturalismus. Gemeinsam haben die feministisch arbeitenden LiteraturwissenschaftlerInnen zweifellos ein Interesse für frauenspezifische Themen; oftmals fühlen sie sich auch an die politische Frauenbewegung gebunden.

Wer genauer über feministische Literaturwissenschaft sprechen will, muß sowohl eine diachrone als auch eine synchrone Perspektive in den Blick nehmen: die historische Entwicklung und die methodische Vielfalt. Als Geburtsurkunde der feministischen Literaturbetrachtung wird häufig Virginia Woolfs 1929 veröffentlichter Essay Ein Zimmer für sich allein genannt. Ihr geht es vor allem um die Fragen nach den historischen Bedingungen weiblicher Autorschaft, nach einer Literaturgeschichte der Frauen und nach der besonderen Qualität weiblichen Schreibens. Einen weiterer Meilenstein auf dem Weg zu einer feministisch orientierten Literaturwissenschaft markierte Simone de Beauvoir 1949 mit ihrem Buch Das andere Geschlecht. Sie analysiert u.a. in literarischen Texten von Stendhal bis Lawrence die spezifischen Frauenbilder. In einer patriarchalischen Gesellschaft wird die Frau stets als das Andere imaginiert. Die Frau ist im Gegensatz zum männlichen Kulturmenschen ein Naturwesen, repräsentiert eine bedrohliche Sinnlichkeit oder ist ein schlechtes Beispiel, von dem sich der dargestellte Mann positiv abhebt, resümiert Beauvoir.

Sowohl die von Woolf angeregte Frauenliteraturgeschichte (Archäologie weiblichen Schreibens) als auch die Frauenbildforschung bestimmen in den Siebziger- und Achtzigerjahren die feministische Literaturwissenschaft. Vor allem die letztere entwickelt sich zu den sogenannten weiter, indem sie nach dem Konstruktionscharakter von Frauen- und Männerbildern fragt, nach den literarischen Mechanismen, mit denen diese erzeugt werden, und nach den Strategien einer solchen Bildproduktion. Diese Forschungen machen deutlich, daß es sich bei den Kategorien Weiblichkeit und Männlichkeit (gender) um soziale Konstruktionen handelt, die sich je nach historischer Situation verändern können und nicht um biologisch determinierte Naturgegebenheiten (sex). Ein Beispiel für eine solche strategische literarische Konstruktion ist das Frauenbild der Aufklärung. Hier wird die Frau zum Naturwesen stilisiert und damit ihre neue Rolle als Hausfrau, Mutter und Heilerin des Mannes vorbereitet, der als Kulturmensch im Zuge eines fortschreitenden gesellschaftlichen Wandels die Gemeinschaft des ganzen Hauses verlassen muß, um sich in einer sich industrialisierenden arbeitsteiligen Welt den Verletzungen der öffentlichen Sphäre auszuliefern. Die Frau wird also nur scheinbar naturgegeben, tatsächlich aber durch ihren (konstruierten) Geschlechtscharakter auf das Leben im Haus, in der privaten Sphäre festgelegt. Methodisch sind diese Arbeiten häufig der Diskursanalyse oder der Deconstruction orientiert.

Eine grundlegend andere Denkrichtung schlagen poststrukturalistisch arbeitende französische Theoretikerinnen wie Helen Cixoux oder Lucy Irigaray ein, wenn sie nach einem spezifischen weiblichen Schreiben fragen, das sie nicht nur in der Literatur von Frauen und Männern aufzufinden glauben, sondern dieses Schreiben auch als das Ziel von Schreibprozessen ansehen. Sie versuchen mit Wortspielen, unkonventioneller Zeichensetzung und eigenwilligem, gebrochenen Stil die phallozentristische Logik zu durchbrechen und damit ein neues bzw. verschüttetes weibliches Schreiben und Denken zu etablieren. Fraglich bleibt dabei, ob sie von einer biologisch bestimmten Weiblichkeit ausgehen, die von der phallozentristischen Weltordnung unterdrückt wurde und die es im Schreiben wiederzuerlangen gilt, oder ob sie nicht vielmehr selbst wieder einer Konstruktion von Männlichkeit und Weiblichkeit folgen, die den Männern rationales, logisches Denken und Schreiben zuweist und den Frauen emotionales, unlogisches Denken und Schreiben.

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Sekundärliteratur