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Martin Opitz‘ berühmtestes Werk, das 1624 veröffentlichte Buch von der Deutschen Poeterey, ist die richtungsweisende Poetik des deutschen Barock, in der Opitz Regeln und Grundsätze einer neu zu begründenden hochdeutschen Dichtkunst formuliert. Diese solle sich nicht nach den überlieferten antiken Versmaßen richten, sondern eine eigene, der deutschen Sprache angemessene metrische Form finden:

"Nachmals ist auch ein jeder verß entweder ein iambicus oder trochaicus; nicht zwar das wir auff art der griechen vnnd lateiner eine gewisse groesse der sylben koennen inn acht nemen; sondern das wir aus den accenten vnnd dem thone erkennen / welche sylbe hoch vnnd welche niedrig gesetzt soll werden. Ein Jambus ist dieser: 'Erhalt vns Herr bey deinem wort.'Der folgende ein Trocheus: 'Mitten wir im leben sind.' Dann in dem ersten verse die erste sylbe niedrig / die andere hoch / die dritte niedrig / die vierde hoch / vnd so fortan / in dem anderen verse die erste sylbe hoch / die andere niedrig / die dritte hoch / etc. außgesprochen werden. Wiewol nun meines wissens noch niemand / ich auch vor der zeit selber nicht / dieses genawe in acht genommen / scheinet es doch so hoch von noethen zue sein / als hoch von noethen ist / das die Lateiner nach den quantitatibus oder groessen der sylben jhre verse richten vnd reguliren." (S. 49)

Opitz fordert eine sich an der natürlichen Wortbetonung der jeweiligen Sprache orientierende Metrik und bestimmt die deutsche Metrik im Unterschied zur lateinischen, quantifizierenden, als eine qualifizierend-akzentuierende. Diese Differenz markiert und im Bewußtsein der Dichter verankert zu haben ist das eigentliche Verdienst der Opitzschen Poeterey. Opitz formuliert die folgenreiche These, daß das natürliche, der Sprachbetonung angemessene, Metrum im Deutschen ein streng alternierendes sei, so daß es gelte, die antiken Versfüße Anapäst und Daktylus zu vermeidenden. Vielmehr müsse der Alexandriner das wichtigste deutsche Versmaß werden – eine Forderung, die sich zunächst durchsetzte.

Allerdings bezieht Opitz sich mit diesen Gedanken nicht nur auf die Lyrik, sondern auf jegliche Dichtung in gebundener Sprache, also auch auf Epos und Drama. Im fünften Kapitel, in dem Opitz einen Abriß der zeitgenössischen Gattungen gibt, zeigt sich, daß er den uns geläufigen, übergeordneten Gattungsbegriff Lyrik nicht kennt, sondern nur eine Vielzahl einzelner, meist inhaltlich bestimmter, Gedichtformen nebeneinander aufführt.

"Das Epigramma setze ich darumb zue der Satyra / weil die Satyra ein lang Epigramma / vnd das Epigramma eine kurtze Satyra ist: denn die kuertze ist seine eigenschafft / vnd die spitzfindigkeit gleichsam seine seele vnd gestallt. [...]

Die Eclogen oder Hirtenlieder reden von schaffen / geißen / seewerck / erndten / erdgewächsen / fischereyen vnnd anderem feldwesen; vnd pflegen alles worvon sie reden / als von Liebe / heyrathen / absterben / buhlschafften / festtagen vnnd sonsten auff jhre baewrische vnd einfaeltige art vor zue bringen.

In den Elegien hatt man erstlich nur trawrige sachen / nachmals auch buhlergeschäffte / klagen der verliebten / wündschung des todes / brieffe / verlangen nach den abwesenden / erzehlung seines eigenen Lebens vnnd dergleichen geschrieben. [...]

Hymni oder Lobgesaenge waren vorzeiten / die sie jhren Goettern vor dem altare zue singen pflagen / vnd wir unserem GOtt singen sollen. Dergleichen ist der lobgesang den Heinsius vnserem erloeser / vnd der den ich auff die Christnacht geschrieben habe. Wiewol sie auch zuezeiten was anders loben; wie bey dem Ronsard ist der Hymnus der Gerechtigkeit / Der Geister / des Himmels / der Sternen / der Philosophie / der vier Jahreszeiten / des Goldes / etc.

Sylven oder waelder sind nicht allein nur solche carmina / die auß geschwinder anregung vnnd hitze ohne arbeit von der hand weg gemacht werden [...] sondern / wie jhr name selber anzeiget / der vom gleichniß eines Waldes / in dem vieler art vnd sorten Baewme zue finden sindt / genommen ist / sie begreiffen auch allerley geistliche und weltliche getichte / als da sind Hochzeit- vnd Geburtlieder / Glueckwuendtschungen nach außgestandener kranckheit / item auff reisen / oder auff die zuerueckkunft von denselben / vnd dergleichen.

Die Lyrica oder getichte die man zur Music sonderlich gebrauchen kan / erfodern zuefoerderst ein freyes lustiges gemuete / vnd wollen mit schoenen spruechen vnnd lehren haeuffig geziehret sein: wieder der andern Carminum gebrauch / da man sonderliche masse wegen der sententze halten muß; damit nicht der gantze Coerper vnserer rede nur lauter augen zue haben scheine / weil er auch der andern glieder nicht entberen kan. Ihren inhalt betreffendt [...]; buhlerey / taentze / banckete / schoene Menscher / Gaerte / Weinberge / lob der maessigkeit / nichtigkeit des todes / etc. Sonderlich aber vermahnung zue froeligkeit." (S. 28-31)

Die lyrischen Gedichte, die "Lyrica" bestimmt Opitz ganz im Sinne der Antike als musikalische Gedichte (griech. lyra = Leier), als Gedichte, die mit Musikbegleitung vorgetragen werden können. Eklogen, Elegien und Hymnen fallen nicht unter diese Kategorie.

©TvH

Quelle

  • Martin Opitz: Buch von der Deutschen Poeterey, hg. v. Cornelius Sommer, Stuttgart 1970.

Sekundärliteratur

  • D. Breuer: Deutsche Metrik und Versgeschichte, München 1981.
  • H. Entner: Der Weg zum "Buch von der Deutschen Poeterey". Humanistische Tradition und poetologische Voraussetzungen deutscher Dichtung im 17. Jahrhundert, in: Studien zur deutschen Literatur im 17. Jahrhundert, hg. v. W. Lenk, Berlin u.a. 1984, S. 11-144.