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Friedrich Schlegel: Über das Studium der griechischen Poesie (1797)

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Obwohl Schlegel im Titel seines Essays nur die griechische Poesie erwähnt, hat er im Grunde einen geschichtlichen Überblick über die griechische und moderne Literatur gestaltet. Er kontrastiert die griechische Literatur mit der neueren Literatur seit dem Mittelalter, die Klassik mit der Romantik. Griechenland dient auch ihm, wie vor ihm schon Winckelmann und nach ihm Hegel, als Ideal allen künstlerischen Schaffens. Für Schlegel war die "Griechenheit [ein] Bild vollendeter Menschheit [und ihre Literatur ein] Maximum und Kanon der natürlichen Poesie, [als] eine allgemeine Naturgeschichte der Dichtkunst, eine vollkommene und gesetzgebende Anschauung." (S. 307f.) Die antike Poesie erscheint bei ihm als die objektive, die moderne Poesie als die bloß subjektive, das wahrhaft Schöne steht im Gegensatz zum bloß Interessanten. Als absolutes Ideal erscheint ihm die Tragödie bei Sophokles, in der "die göttliche Trunkenheit des Dionysos, die tiefe Erfindsamkeit der Athene, und die leise Besonnenheit des Apollo gleichmäßig verschmolzen [sind]. Hier ist auch nicht die leiseste Erinnerung an Arbeit, Kunst und Bedürfnis. [...] Wir werden das Medium nicht mehr gewahr, die Hülle schwindet, und unmittelbar genießen wir die reine Schönheit." (S.298)

Diese Feier der reinen Schönheit sieht er in der modernen Literatur nicht verwirklicht. In ihr meint er, dem Häßlichen, Grausamen, Zerreißenden zu begegnen. Sie ist bloße Darstellung interessanter Individualität. Insgesamt betrachtet, zeige die romantische Literatur "das totale Übergewicht des Charakteristischen, Individuellen und Interessanten [und] endlich das rastlose unersättliche Streben nach dem Neuen, Piquanten und Frappanten, bei dem dennoch die Sehnsucht unbefriedigt bleibt." (S. 228) Auf die moderne Poesie lasse sich jeder Begriff anwenden, nur nicht der des Schönen. Mit einer Ausnahme: Goethe. Denn Goethe habe seinen Platz "in der Mitte zwischen dem Interessanten und dem Schönen, zwischen dem Manirierten und dem Objektiven. [Er führte] aus der Krise des Interessanten" heraus. Deshalb verwundert es nicht, wenn Schlegels Charakterisierung Goethes darin gipfelt, daß er "Göthens Poesie [als] die Morgenröte echter Kunst und reiner Schönheit" bezeichnet. (S. 259ff.)

Verglichen wurde Schlegels Studium der griechischen Poesie immer wieder mit Schillers Studie Über naive und sentimentalische Dichtung (1795), deren Scheidung naiver und sentimentaler Dichtung an Schlegels Kontrastierung von objektiver und subjektiver Dichtung erinnerte. Mittlerweile ist klar, daß er diesen Text Schillers zunächst nicht kannte, jedoch geht er in seiner nachträglich geschriebenen Vorrede auf Schillers Abhandlung ein, und räumt ein, daß, "hätte [er] sie eher gelesen, [...] so würde besonders der Abschnitt von dem Ursprunge, und der ursprünglichen Künstlichkeit der modernen Poesie ungleich weniger unvollkommen gewesen sein." (S. 209)

©rein

Quelle

  • Kritische Friedrich Schlegel Ausgabe, hg. v. Ernst Behler, Paderborn u.a. 1958, Bd. 1.