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Humboldtsche Universitätsreform

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In der gegenwärtigen Debatte um die Reform der deutschen Universitäten spielt die Devise "weg von Humboldt" eine zentrale Rolle. Offenkundig werden die Universitäten also von Humboldts Konzepten immer noch entscheidend bestimmt - sonst hätte die Forderung nach ihrer Zurückdrängung wenig Sinn. Für ein Organisationsprinzip, das im frühen 19. Jahrhundert entwickelt wurde, ist dies der Ausweis einer bemerkenswerten Langlebigkeit.

Welches waren die grundlegenden Ideen von Humboldts Universitätsreform?

Auf der einen Seite ging es ihm darum, die Universität und die Wissenschaft von allen 'äußeren Zwecken', wie es zeitgenössisch hieß, unabhängig zu machen. Politische oder kirchlich-religiöse Einflußnahme auf die wissenschaftlichen Inhalte wollte Humboldt um jeden Preis verhindern. Auch die Unterwerfung der Forschung unter das Nutzen- und Profitinteresse der Wirtschaft wollte er nicht akzeptieren. Wissenschaft sollte auf Wahrheitssuche, auf Erkenntnis um ihrer selbst willen abzielen. Um dieses Ziel zu erreichen, hatten die Wissenschaftler in 'Einsamkeit und Freiheit' zu leben - 'Freiheit' meinte die geistige Unabhängigkeit, 'Einsamkeit' die ganz praktische Folge des auf sich selbst gestellten Wahrheitsstrebens.

Auf der anderen Seite bekämpfte Humboldt die Spezialisierung, die sich auch im geistigen Leben auf dem Vormarsch befand. Gegen dieses 'Expertentum' stellte er die Universalität der Bildung, das hochgesteckte Ziel, durch Kenntnisse auf allen Feldern menschlichen Wissens eine möglichst umfassende Entwicklung des Geistes und der Persönlichkeit zu erreichen. Wissen sollte nicht sterile Reproduktion von vorgefertigten Erkenntnissen sein, sondern im selbständigen und kritischen Mit- wie Nachvollzug erworben werden, um sich in eine eigene geistige Erfahrung zu verwandeln.

Besondere Beachtung verdient Humboldts Universitätsreform auch deshalb, weil sie die Stellung der Philosophischen Fakultät neu definierte und damit auch unmittelbaren Einfluß auf die Entwicklung der Germanistik hatte. Vorher war die Philosophische Fakultät als 'untere Fakultät' abgewertet worden. Dort erhielten die Studenten eine propädeutische Ausbildung, die sich im wesentlichen auf die 'Sieben freien Künste' konzentrierte, zu denen auch 'philologische' Disziplinen wie Grammatik und Rhetorik gehörten. Wenn diese Ausbildung erfolgreich absolviert war, konnte sich ein Fachstudium in einer der drei höheren Fakultäten: Theologie, Jurisprudenz oder Medizin, anschließen. Der niedrige Status der Philosophischen Fakultät drückte sich auch in der wesentlich geringeren Besoldung ihrer Professoren aus.

Humboldt wertete die Philosophische Fakultät radikal auf. Sie sollte der Garant für die Beherzigung der beiden Prinzipien sein, die er für die gesamte Universität formuliert hatte. Einerseits war sie also dafür zuständig, die Orientierung aller wissenschaftlichen Bemühungen an der Auffindung der Wahrheit sicherzustellen, andererseits hatte sie dafür zu sorgen, daß alle Spezialkenntnisse, die von den einzelnen Fächern erarbeitet wurden, in den Horizont des Ganzen gerückt wurden - als 'Universitas', als umfassende und allgemeinbildende Einrichtung wurde sie damit zum Herzstück der neuen Universität. Jedem einzelnen Fachstudium wurde erst durch die Kombination mit der Philosophie wirklicher Geist eingehaucht, weil nur sie darüber belehrte, welcher Sinn und Stellenwert den Kenntnissen und Tätigkeiten des einzelnen Fachmannes in der Welt zukam.

Gleichzeitig erhielt die Philosophische Fakultät im frühen 19. Jahrhundert das Monopol für die Ausbildung von Lehrern an höheren Schulen. Als sich die Germanistik zur selben Zeit als neues Fach in der Philosophischen Fakultät etablierte, wurde sie sogleich mit deren besonderen Ansprüchen konfrontiert: Die Beschäftigung mit deutscher Sprache und Literatur sollte ‚bildend' sein, sie sollte die Wahrheit und das Ganze im Blick haben, und sie sollte vor allem die überall in Deutschland neugestalteten Gymnasien mit Lehrern versorgen.

©rein

Sekundärliteratur

  • C. Menze: Die Bildungsreform Wilhelm von Humboldts, Hannover 1975.
  • D. Benner: Wilhelm von Humboldts Bildungstheorie. Eine problemgeschichtliche Studie zum Begründungszusamenhang neuzeitlicher Bildungsreform, 2. Aufl., Weinheim u.a. 1995.
  • R. vom Bruch: A Slow Farewell to Humboldt? Stages in the History of German Universities, 1810-1945, in: M. G. Ash (Hg.): German Universities - Past and Future. Crisis or Renewal?, Oxford u.a. 1997, S.3-27.