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Heinrich Heine

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* 11. 12. 1797, Düsseldorf
† 17. 02. 1856, Paris

Dichter und Schriftsteller

Ohne Mühe kann man sich Heinrich Heine im Zeitalter des Internet vorstellen. Sein feiner Spürsinn für mediale Entwicklungen ließ ihn nicht nur Distanz zur elitären Kunstpraxis der Goethezeit gewinnen, die er anerkennend und herablassend zugleich die "Kunstperiode" nannte. Er bestimmte ihn auch dazu, sich ohne Vorbehalte auf Gegenwart und Zukunft einzulassen. Das zeigt sich bei seinen bevorzugten Genres, vor allem den journalismusnahen Prosaformen wie der Reiseskizze, und auch stilistisch: in der Vermischung verschiedener Stilebenen, in gewagten Metaphern und der Pflege von Doppeldeutigkeit, Ironie und Witz.

Diese Schreibweise dokumentierte einerseits den Bruch mit dem Pathos und der Autonomieästhetik der Klassik und ermöglichte andererseits, trotz scharfer Zensurmaßnahmen in der Restaurationsperiode, den Anschluß an die Modernisierungs-tendenzen in der europäischen Literatur.

Aber auch im elektronischen Zeitalter sollte man zuerst mit dem Lyriker Heine Bekanntschaft machen. Die feinste Beherrschung der Sprache, die Evokation 'poetischer' Szenen und Gefühle, der schmerzliche Stimmungsbruch - mit dieser Meisterschaft wurde das Publikum erstmals 1827 im Buch der Lieder konfrontiert - und gewonnen. Heines Beherrschung des Volksliedtons führte nicht zu 'neuen Volksliedern', aber doch zu Texten, die nicht weniger populär waren als die alten. Daß die Nationalsozialisten, die seine "artfremden" Werke aufs fanatischste verfolgt und unterdrückt hatten, sie schließlich doch wieder als "anonyme" Lieder in ihre Anthologien aufnahmen, belegt dies auf die nachhaltigste und absurdeste Weise.

Als Prosaist und Essayist deckt Heine viele verschiedene Genres, Themen, Länder und Epochen ab, von düsteren Prophezeiungen bis hin zu anarchistischen Satiren und Possen. Seine Reiseberichte - seit der Harzreise, entstanden 1824 - kombinieren Anekdotisches und Reflexion; man hat sie als "Aufbruch aus der Philisterwelt" bezeichnet. Seine kulturgeschichtlichen Schriften - unter ihnen Zur Geschichte der Philosophie und Religion in Deutschland (1835) und Die Romantische Schule (1833) - überraschen heute noch mit dem Nachweis, daß auch Literaturgeschichte spannend und amüsant sein kann. Als Vermittler zwischen Frankreich, wo er mehrere Jahrzehnte im Exil lebte, und seinem unter Schmerzen geliebten Deutschland wurde Heine zum Prototyp eines interkulturellen Autors - und in Paris ganz nebenbei auch zum Großstadtdichter avant la lettre. Die satirischen Versepen Deutschland ein Wintermärchen (1844) und Atta Troll (1847) enthalten unvergessliche Szenen (etwa die Begegnungen mit Germania oder der Mutter) und drücken zugleich eine tiefe Skepsis aus gegenüber Deutschland "am Vorabend seiner Größe" (so der Zeitgenosse Karl Gutzkow).

Nicht nur bei völkischen Deutschkundlern, sondern auch im germanistischen mainstream galt Heine lange als problematisch. "Ironie" und "Journalismus" lauteten die Hauptvorwürfe, also das Infragestellen einer erbaulich-sentimentalen Literaturfunktion und die Suche nach neuen Kommunikationsformen. Von der progressiven Seite her, und mit eben diesen Argumenten, konnte Heine immer wieder als Modellfall des engagierten Schriftstellers herausgestellt werden, so zuletzt 1986 von Jürgen Habermas. - Dabei muß man einräumen, daß Heine sich nicht immer politisch korrekt verhielt. Seine scharfe Polemik gegen Ludwig Börne (1840) und seine Attacke auf die Homosexualität des Dichterrivalen August von Platen lassen nach wie vor einen unangenehmen Geschmack zurück Seine Ambivalenz gegenüber dem Kommunismus, dessen theoretische Grundlegung und erste Kämpfe er verfolgte, hat sich inzwischen als weitsichtig, ja prophetisch erwiesen. So emphatisch er an der Zukunftsvision festhielt, "hier auf Erden schon/ das Himmelreich [zu] errichten" und so sehr er an der Notwendigkeit einer allgemeinen Emanzipation festhielt, so sehr beunruhigte ihn die Beobachtung, wie es sich noch eine jede Revolution auf ihren eigenen Errungenschaften bequem gemacht hatte. Heine aber bleibt unbequem - auch für Leser in der Mediengesellschaft.

© HR

Wichtige Schriften

  • Reisebilder (1826-1831)
  • Die romantische Schule (1835)
  • Ludwig Börne. Eine Gedenkschrift (1840)
  • Deutschland. Ein Wintermärchen (1844)

Sekundärliteratur

  • R. Schnell: Heinrich Heine zur Einführung, Hamburg 1996.
  • J. Habermas: Heinrich Heine und die Rolle des Intellektuellen in Deutschland, in: J.H.: Die Moderne - ein unvollendetes Projekt. Politische Aufsätze 1977-1990, Leipzig 1990, S.130-158.
  • G. Oesterle: Integration und Konflikt. Die Prosa Heinrich Heines im Kontext oppositioneller Literatur der Restaurationsepoche, Stuttgart 1972