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Heinrich Böll

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* 21.12.1917, Köln
† 16.07.1985, Bornheim-Merten

Erzähler und Essayist

Im Rückblick darf der Kölner Heinrich Böll als der repräsentative Autor der westdeutschen Nachkriegsliteratur und der prominenteste literarische Intellektuelle der sogenannten 'Rheinischen' oder 'Bonner' Republik, also der Bundesrepublik vor 1989 gelten. Verschiedentlich hat man sein erzählerisches und publizistisches Werk als einen "fortlaufenden Kommentar" zu deren Geschichte charakterisiert. Dies lässt sich damit erklären, dass Böll grundsätzlich eine realistische, teils sentimental, teils ironisch eingetönte Schreibweise pflegte und seine Kurzgeschichten, Novellen und Romane als literarische Verarbeitung von zeitgeschichtlich bedingten, generationstypischen Erfahrungen anlegte. Böll selbst hat als Ausgangspunkte seines Schreibens die (biographische, regionale, zeithistorische) "Gebundenheit" und als Zielperspektive die aktualisierende "Fortschreibung" bestimmter Themen und Probleme benannt. Wie sehr ihm das gelang, haben nach anfänglicher Umstrittenheit nicht nur sein Erfolg beim Lesepublikum, sondern auch die wachsende Wertschätzung des politischen Publizisten und Menschenrechtlers Böll gezeigt. Äußerer Ausdruck dieser Geltung waren Funktionen wie der Vorsitz des Verbandes deutscher Schriftsteller und des Internationalen PEN (1971-74) und Auszeichnungen wie der Georg-Büchner-Preis (1967) und der Nobelpreis für Literatur (1972).

Böll hatte schon vor und im Zweiten Weltkrieg mit literarischem Anspruch geschrieben, konnte aber erst ab 1946/47 publizieren. Seine frühen Kurzgeschichten (Wanderer, kommst du nach Spa...) und ersten Romanversuche (Wo warst Du, Adam?) versuchen die katastrophischen Erfahrungen von Krieg und Nachkriegszeit und die Suche nach Überlebensstrategien in eine lakonische Erzählsprache umzusetzen; später gelten sie als exemplarisch für die sogenannte 'Trümmerliteratur'. In den Romanen der 1950er und frühen 1960er Jahre suchen Bölls sympathisch-durchschnittliche Anti-Helden nach Möglichkeiten des 'richtigen Lebens' in einer Gesellschaft, die von Konsumzwängen, Bürokratie, kirchenamtlicher Scheinheiligkeit und der Last einer kollektiv verschwiegenen Nazi-Vergangenheit geprägt war. Diese Problematik bestimmt den ein wenig artifiziell konstruierten Familienroman Billard um halbzehn (1959) wie den Monologroman Ansichten eines Clowns (1963), den man als "Generalabrechnung mit dem CDU-Staat" charakterisiert hat.

Während der Erzähler Böll für längere Zeit verstummt, wächst die Produktivität des Essayisten und Publizisten Böll, der sich sehr persönlich und engagiert nicht nur zu spezifisch literarischen, sondern auch zu allgemein kulturellen und aktuell politischen Themen äußert und manch eine öffentliche Kontroverse provoziert. Den gesellschaftlichen Umbruch, der mit der Chiffre "1968" bezeichnet wird, begleitet Böll mit distanzierter Sympathie, wie an den Novellen Ende einer Dienstfahrt (1966) und Die verlorene Ehre der Katharina Blum (1974) sowie an dem Roman Gruppenbild mit Dame (1972) abzulesen ist, der zumeist als Bölls wichtigster und ästhetisch geglücktester Roman bewertet wird.

In den frühen 1970er Jahren geriet Böll aufgrund politischer Stellungnahmen, die zur differenzierten Bewertung besonders des 'linken' Terrorismus jener Jahre mahnte, selbst ins Zentrum politisch-publizistischer Kontroversen. Eine unzweifelhafte Verdüsterung und Erstarrung prägt seine letzten 'politischen' Romane; zugleich gewinnt seine Publizistik eine neue Dimension aus der bewussten Rückwendung auf die erlebte und erinnerte Vergangenheit, etwa in der autobiographischen Skizze Was soll aus dem Jungen bloß werden? (1981).

Heinrich Böll war kein Avantgardist oder Jahrhundertautor; seine Geschichten blieben sprachlich wie thematisch stets nahe an der Geschichte, an der Alltags- und Erfahrungswelt seiner Leser und Leserinnen, denen er Muster für die Deutung und Verarbeitung kollektiver Erfahrungen anbot. Das hat seinen Erfolg beim Publikum und die weit übers Literarische hinausgehende Wertschätzung seiner Person begründet; auf der anderen Seite wirft diese Zeit-"Gebundenheit" auch die Frage auf, ob und wie das Werk Heinrich Bölls auch heutige und künftige Lesergenerationen noch ansprechen und provozieren kann.

©JV

Wichtige Schriften

  • B. Balzer (Hg.): Werke, 10 Bände, Köln 1978.

Werke in Einzelausgaben im Deutschen Taschenbuchverlag (dtv)

  • Hierzulande. Aufsätze zur Zeit. München 1963. (=dtv sonderreihe 5311).
  • Als der Krieg ausbrach. Erzählungen". München 1965. (=dtv 339).
  • Das Heinrich-Böll-Lesebuch". Hg. von Viktor Böll. München 1982. (=dtv 10031).
  • In eigener und anderer Sache. Schriften und Reden 1952-1985". Kassette mit 9 Bänden. München 1987. (=dtv 5962).
  • Heinrich Böll zum Wiederlesen". München 1989. (=dtv großdruck 25023).

Sekundärliteratur

  • W. Bellmann (Hg.): Heinrich Böll - Romane und Erzählungen, Stuttgart 2000.
  • J. H. Reid: Heinrich Böll. Ein Zeuge seiner Zeit, München 1991.
  • J. Vogt: Heinrich Böll, München 1987.