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Die 'Stimme' stellt für Gérard Genette neben dem 'Modus' (vgl. Fokalisierungstypen) und der 'Zeit' (vgl. Zeitstruktur nach Genette) eine wichtige Kategorie zur Analyse der Erzählung dar. Im Unterschied zum 'Modus', wo die Frage "Wer nimmt wahr?" im Mittelpunkt steht, geht es hier um die Frage "Wer spricht?". Genette unterteilt sie in mehrere Aspekte, nämlich: 'Zeit der Narration', 'narrative Ebene' und 'Person'.

Bei der 'Zeit der Narration' wird die narrative Instanz in Beziehung gesetzt zu der von ihr erzählten Geschichte. Die üblichste und am weitesten verbreitete Form der Erzählung bildet sicherlich die 'spätere Narration', in der (in einem Vergangenheitstempus) zurückliegende Ereignisse erzählt werden. Viel seltener, aber durchaus möglich ist auch eine 'frühere Narration', wenn nämlich im Futur oder im futurischen Präsens erzählt wird. Ein typischer Fall wären Zukunftsromane, wenngleich hier die narrative Instanz in aller Regel vordatiert wird. Ein dritter, durchaus geläufiger Typ ist die 'gleichzeitige Narration', bei dem das Erzählen - im Präsens - die Handlung simultan begleitet (häufig z.B. im faktualen Genre der Sportreportage).

Die 'narrativen Ebenen' erlangen vor allem dann Bedeutung, wenn verschiedene Erzählungen ineinander verschachtelt werden. Jede Erzählung erschafft ein räumlich-zeitliches Universum, das man auch als 'Diegese' bezeichnet. Wenn innerhalb eines Romans von einer Figur eine in sich abgeschlossene Geschichte erzählt wird, existieren bereits zwei 'Diegesen', von denen die zweite in die erste "eingelassen" ist. In Erzählungen diesen Typs (wie beispielsweise Boccaccios Il Decamerone oder die Märchen aus Tausendundeiner Nacht) können diese verschiedenen Ebenen der Erzählung und vor allem die Beziehungen, die zwischen ihren 'Diegesen' bestehen, untersucht werden (vgl. metafiction).

Unter dem dritten Aspekt der Stimme, der 'Person', greift Genette das Problem der Erzählung in der 1. oder 3. Person auf. Prinzipiell kann sich jeder, und nicht nur der sogenannte Ich-Erzähler, sondern beispielsweise auch ein auktorialer Erzähler, in der 1. Person zu Wort melden. Dieses Phänomen der 'Stimme' ist also nicht zwangsläufig mit einem bestimmten Blickwinkel, den Fokalisierungstypen verbunden. Entscheidend ist vielmehr, ob der Erzähler in der Geschichte, die er erzählt, als Figur anwesend ist oder nicht. Den ersten Fall bezeichnet Genette als einen 'homodiegetischen' Erzähler, den zweiten als einen 'heterodiegetischen'.

© SR

Sekundärliteratur

  • G. Genette: Die Erzählung, hg. v. J. Vogt, München 1994.