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Anekdote

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Als 'anekdoton', also 'das nicht Herausgegebene', hatte Prokopios im 6. Jahrhundert ein kritisches Geschichtswerk mit Indiskretionen über den Kaiser Justinian bezeichnet, das erst nach dessen Tod erschien. Seither gilt die Anekdote als eine zunächst mündlich verbreitete Erzählung einer Episode aus dem Leben einer bekannten historischen Persönlichkeit (meist ein Herrscher, Militär oder Künstler). Ihr strukturelles Merkmal besteht darin, an einem scheinbar zufälligen Detail - wie einer Äußerung oder einer Handlungsweise - die charakteristische Eigenart dieser Person zu verdeutlichen, eine repräsentative Momentaufnahme zu entwerfen. Im Mittelalter wurde sie noch - wie der Schwank - als Exempelerzählung genutzt. Oft ist der knappe Handlungsverlauf von einer überraschenden Wendung am Ende gekennzeichnet.

Heinrich von Kleist hat diese literarische Form, die Unterhaltung durch eine Neuigkeit und Phantasie auf Seiten des Rezipienten miteinander verbindet, in den Anekdoten fruchtbar gemacht, die er um 1811/12 in seinen Berliner Abendblättern veröffentlichte. Andere wichtige Autoren sind beispielsweise Johann Peter Hebel (Schatzkästlein des Rheinischen Hausfreundes, 1811) und im 20. Jahrhundert Wilhelm Schäfer, dessen Anekdoten mit Tendenz zur Form der Novelle ab 1908 erschienen.

Neben ihrem Fortbestehen als eigenständiger Kunstform hat die anekdotische Darstellung Eingang in vielerlei verschiedene Literaturformen gefunden.

© JV und SR

Sekundärliteratur

  • H. Grothe: Anekdote, Stuttgart 1984.
  • S. Hilzinger: Anekdotisches Erzählen im Zeitalter der Aufklärung. Zum Struktur- und Funktionswandel der Gattung Anekdote in Historiographie, Publizistik und Literatur des 18. Jahrhunderts, Mainz 1997.
  • V. Weber: Anekdote, die andere Geschichte. Erscheinungsformen der Anekdote in der deutschen Literatur, Geschichtsschreibung und Philosophie, Tübingen 1993.