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Thomas Mann

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* 06.06.1875, Lübeck
† 12.08.1955, Zürich/Kilchberg

Schriftsteller und Essayist

Leben und Werk verschränken sich bei Thomas Mann auf eigentümliche Weise. In der Stilisierung des eigenes Lebens im Kunstwerk, dem literarisierten Leben und der gelebten Literatur, war Mann der klassischen deutschen Dichtung und vor allem Goethes Dichtung und Wahrheit verpflichtet. Daneben prägte ihn ein Leben lang sein Ehrgeiz und sein Wunsch nach Bewunderung und Ruhm ("Bisweilen kehrt sich mir vor Ehrgeiz der Magen um" 1901 an Otto Grautoff). Das ersehnte internationale Ansehen brachte ihm der Nobelpreis für Literatur, der ihm 1929 für seinen Roman Buddenbrooks verliehen wurde.

Seine Laufbahn als Schriftsteller begann 1893 mit der Prosaskizze Vision und endete kurz vor seinem Tod mit einem Geleitwort zur Anthologie Die schönsten Erzählungen der Welt (1955). Zum eigentlichen künstlerischen Durchbruch kam es mit der Erzählung Der kleine Herr Friedemann (1897): In den mehr als sechs Jahrzehnten schrieb Mann acht Romane, mehr als dreißig Novellen, ein Schauspiel, ein Versepos, zahlreiche Essays, autobiographische Schriften, Vorträge, Reden, politische Manifeste und an die dreitausend Briefe. Darüber hinaus führte er sein ganzes Leben lang Tagebuch. Nach dem Bekenntnis zum Exil (1936) setzte eine rege politische Publizistik ein und in den Kriegsjahren 1940 bis 1945 die monatlichen Radiobotschaften nach Deutschland (Deutsche Hörer!). Manns politische Reden sind der Ausdruck seines unmittelbaren Ringens mit der Zeit und seine Notgedanken des Lebens haben immer wieder den Kunstgedanken zurückgedrängt. "Euch zu warnen, ist der einzige Dienst, den ein Deutscher wie ich euch heute erweisen kann. [...] Die Quelle der Produktivität ist das individuelle Gewissen, und mag die Sympathie, die sie erregt, der Nation zugute kommen. [...] Ihr Deutsche dürftet mir heute mein Werk nicht danken, auch wenn ihr wolltet. [...] Aber etwas ist, das wirklich euretwillen, aus sozialem und nicht aus privatem Gewissen geschah, und täglich wächst meine Überzeugung, dass die Zeit kommen wird, wo ihr es mir danken und es mir höher anrechnen werdet als meine Geschichtenbücher: das ist, dass ich euch warnte." (1941, Deutsche Hörer, XI, S. 997-1019) Nach Abschluss der Joseph-Romane und dem Beginn der Niederschrift des Doktor Faustus lernte Mann im Mai 1943 Theodor W. Adorno kennen, der weit mehr als Schönberg eine Nachbemerkung in Roman über das geistige Eigentum verdient hätte, stammen doch manche Formulierungen wörtlich aus Adornos Philosophie der neuen Musik (Typoskript 1941). Später legt Mann darüber Rechenschaft ab (Die Entstehung des Doktor Faustus. Roman eines Romans 1949) und Adorno bestätigte in der "Eidesstattlichen Erklärung" (1957), dass die "Gestaltung der musikalischen Partien des Romans in vollstem Einvernehmen zwischen uns beiden erfolgte." (Selbstkommentare, S. 370)

Kaum ein anderer Autor hat sein Leben lang eine derartige Menge öffentlicher Kontroversen ausgelöst und geschürt wie Thomas Mann. Im wesentlichen geht es um zwei Grundtypen: In die Gruppe der künstlerischen Gegnerschaft, die im Kern von der expressionistischen Kritik am Stilkonservatismus und von einem bohème-nahen Künstlerbegriff ausgeht, gehört die Polemik der Lübecker gegenüber Manns Schlüsselroman Buddenbrooks, aber auch die Auseinandersetzungen mit dem Bruder Heinrich oder mit Bertolt Brecht. Der immer wieder vorgebrachte Vorwurf des Unschöpferischen entzündet sich an Manns Konterfeiverfahren, mit dem er Vorbilder aus der Wirklichkeit in seine Texte einmontiert. Die zweite Gruppe ist national und politisch motiviert und stößt sich an Manns Deutschland-Kritik sowie an seinen politischen Sympathien. Diese Gegner halten ihn für nihilistisch, zersetzend und politisch links orientiert. In diesen Kontext gehören die Kontroversen mit der konservativen Rechten wegen seiner Republikrede von 1922, der Kampf gegen die Nationalsozialisten, die Folgen des "Protests der Richard-Wagner-Stadt München" (1933), die Stellungnahme zur Emigration mit dem Brief an Korrodi und nach dem Krieg die Rückkehr-Debatte (Warum ich nicht nach Deutschland zurückgehe (1945) und die Auseinandersetzung mit der "inneren Emigration" (1945/46), die Kollektivschulddebatte (Die Lager 1945) und die Goethe-Reden, die Mann 1949 in beiden Teilen Deutschlands gehalten hat und auf die die westdeutsche Presse mit Angriffen reagierte.

Das Thema des Verfalls, bei dem die dionysischen Kräfte die Oberhand behalten, bestimmt bis auf wenige Ausnahmen das gesamte literarische Werk Thomas Manns von den Buddenbrooks (1901) bis zu Doktor Faustus (1947). Manns Ironie, in der sich Skepsis und Distanz zur Wirklichkeit mit einer scharfen Beobachtungsgabe koppeln, zeigt sich auch im häufigen Wechsel der Erzählperspektive und bestimmt Manns Prosa als ein unentschiedenes und gleichzeitiges Neben- und Übereinander von Verschiedenem. Dieser Perspektivismus hat durch Friedrich Nietzsche in die literarische Moderne Eingang gefunden. Neben den Philosophien Nietzsche und Schopenhauer hat auch die Musik Richard Wagners Manns Denken geprägt. So sieht Mann die Literatur als eine Komposition, in der Personen und Gedanken, Orte und Requisiten die Funktion musikalischer Motive übernehmen und dennoch eine feste Struktur suggerieren. Vor diesem Hintergrund versucht sich Mann in (1924) auch "durch das Leitmotiv, die vor- und zurückdeutende magische Formel, die das Mittel ist, seiner inneren Gesamtheit in jedem Augenblick Präsenz zu verleihen" (Einführung in den Zauberberg, XI, 603), an der "Aufhebung der Zeit". Thomas Mann kann den Klassikern zugeschrieben werden, und zwar nicht nur wegen seines gepflegten Sprachstils, sondern auch wegen des von ihm gewählten "mittleren Wegs" und der humanistischen Haltung, welche die meisten seiner Werke durchzieht. Als "konservativer Erneuerer" ist Mann zwar von den großen Realisten wie Fontane, Flaubert, Tolstoi und Dostojewski beeinflusst und seine Romane lassen sich als Geschichten lesen, in denen die Erzähler eine fiktionale Welt in der Weise des Gesellschaftsromans des 19. Jahrhunderts hinzustellen scheinen, doch ist Manns literarisches Werk nicht der Ausdruck einer bekannten Welt, selbst wenn die Störmomente des fiktionalen Weltzusammenhangs, anders wie bei Joyce, Dos Passos, Döblin oder Der ZauberbergMusil nicht an der Textoberfläche liegen, sondern in der Struktur verborgen sind. Vor allem in den Romanen der letzten Schaffensperiode setzt Mann neue erzähltechnische Mittel ein (wie Intertextualität, Perspektivismus).

© EBL

Quelle

  • Thomas Mann: Briefe an Otto Grautoff 1894-1901 und Ida Boy-Ed 1903-1928, hg. v. Peter de Mendelssohn, Frankfurt/M 1975.
  • Thomas Mann: Einführung in den Zauberberg (1939)
  • Thomas Mann: Deutsche Hörer! Fünfundfünfzig Radiosendungen nach Deutschland (1940-1945)
  • Thomas Mann: Selbstkommentare: Doktor Faustus. Die Entstehung des 'Doktor Faustus', hg. v. Hans Wysling, Frankfurt/M. 1992.

Wichtige Schriften

  • T. Mann, Gesammelte Werke in 13 Bänden, I-XIII, Frankfurt/M. 1974.
  • T. Mann, Große kommentierte Frankfurter Ausgabe, Frankfurt/M. (demnächst)
  • T. Mann, Tagebücher, 1918-1921; 1937-1955, Frankfurt/M. 1979-1995.

Sekundärliteratur

  • Thomas Mann-Handbuch, hg. H. Koopmann, Stuttgart 1995.
  • Die Briefe Thomas Manns. Regesten und Register, hg. H. Wysling, Bd I-V, Frankfurt/M. 1980.
  • H. Kurzke, Thomas Mann. Das Leben als Kunstwerk, München 1999.