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Exilliteratur

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Im Kontext der deutschsprachigen Literaturgeschichte meint Exilliteratur in erster Linie die literarische Produktion der unter dem Nazi-Regime emigrierten AutorInnen. Quantitativ um ein vielfaches geringer ist die literarische Emigration aus der DDR. Der Begriff Exilliteratur schließt aber auch die im deutschsprachigen Raum als Aufnahmeland entstandene Literatur ein.

Durch die Nationalsozialisten wurden mehr als eine halbe Million Menschen aus Deutschland vertrieben. Darunter waren etwa 30.000 politisch Verfolgte, an die 5.500 Kulturschaffende und unter diesen wiederum 2.500 SchriftstellerInnen und PublizistInnen. Den größten Teil unter den Emigrierten stellten die Menschen jüdischer Herkunft und solche, die von den Nazis aufgrund rassistischer Gesetze zu 'Nichtariern' erklärt worden waren.

Die EmigrantInnen waren in jeder Hinsicht eine äußerst heterogene Gruppe. Was sie letztlich verband, war die Gegnerschaft zu den Nazis und der Anspruch, das 'andere Deutschland' zu repräsentieren. Die antifaschistisch-sozialistischen AutorInnen organisierten sich früh in Paris und Prag und schufen sich sie Foren für die Unterstützung der Volksfront in Frankreich und des Kampfes der Republikaner in Spanien, wo auch deutsche Emigranten kämpften.

Der Verlust der deutschen Sprache, die Trennung vom Publikum und die äußerst geringen Veröffentlichungsmöglichkeiten schränkten die Arbeits- und Wirkungsmöglichkeiten der SchriftstellerInnen und PublizistInnen drastisch ein. Nur ganz wenige - wie etwa Vicki Baum, Lion Feuchtwanger, Thomas Mann, Anna Seghers, Franz Werfel - konnten sich mit ihren Veröffentlichungen den Lebensunterhalt sichern; die meisten lebten unter materiell dürftigsten Bedingungen. Literarische Zeitschriften wie Die Sammlung (Amsterdam), Neue deutsche Blätter (Prag), Das Wort (Moskau) und Zeitungen wie das Pariser Tageblatt und Der Aufbau boten in begrenztem Umfang Publikationsmöglichkeiten, und Verlage wie Querido und Allert de Lange (Amsterdam), Oprecht (Zürich), Berman-Fischer (Stockholm), Little & Brown (Boston) und El libro libre (Mexico) verlegten Bücher von EmigrantInnen, darunter solche Weltbestseller wie Das siebte Kreuz. Roman aus Hitlerdeutschland (1942) von Anna Seghers.

Die dominierende Gattung war eindeutig die Erzählprosa, und zwar vor allem in zwei Varianten: als Zeitroman, der sich je nach Schauplatz wiederum differenzierte in den Deutschlandroman und den Exilroman, und als historischer Roman (z.B. die beiden Henri IV.-Romane von Heinrich Mann). Während in der ersten Phase des Exils die Aufklärungsabsicht über das Dritte Reich sich in Dokumentation, Reportage und Erlebnisbericht als bevorzugter Form des Deutschlandromans niederschlug (z.B. Eine Jüdin erlebt das neue Deutschland (1934) von Lilli Körber), war für die zweite Phase charakteristisch das Nebeneinander von zeitgeschichtlichen und historischen Stoffen. Der Deutschlandroman bildete sich hier in zwei Varianten aus: als Darstellung der Vorgeschichte des Nazi-Regimes (z.B. Der Kopflohn (1933) und Die Rettung (1937) von Anna Seghers) und als dessen modellhafte Abbildung (z.B. Nach Mitternacht (1937) von Irmgard Keun). Daneben trat der Exilroman, als dessen berühmtestes Beispiel Seghers´ Transit (1944) gelten kann. In der dritten und letzten Phase des Exils bildete sich im Bewußtsein der Zeitenwende die Epochenbilanz aus als Autobiographie, als Familien- oder Generationenroman oder als Deutschland-Allegorie.

Gegenüber der Prosa nimmt sich die Lyrik des Exils quantitativ bescheiden aus. Publikationsmöglichkeiten gab es fast nur in der Exilpresse, gelegentlich in Anthologien. Etwa 200 Gedichtbände einzelner LyrikerInnen wurden in Exilländern veröffentlicht, der weitaus größere Teil erschien erst nach 1945. Das Gesamtbild der Exillyrik zwischen 1933 und 1945 wurde von jenen DichterInnen bestimmt, die bereits vor 1933 hervorgetreten waren wie Bertolt Brecht, Johannes R. Becher, Karl Wolfskehl und Else Lasker-Schüler.

Für DramatikerInnen war die Exilsituation besonders schwierig - was sie schrieben, blieb in der Regel ohne Aussicht auf Aufführung. Zu den wenigen Ausnahmen gehören z.B. Die Gewehre der Frau Carrar und Furcht und Elend des Dritten Reiches von Bertolt Brecht und Margarete Steffin im französischen Exil.

Die journalistische Arbeit im Exil umfaßte redaktionelle Beiträge für die Exilpublizistik bzw. die Presse des Exillandes, Essays, Reportagen, Kritiken, Reisebeschreibungen, Berichte aus Nazi-Deutschland, Feuilletons, Kurzprosa und Fortsetzungsromane.

Ein Großteil der in der Emigration entstandenen Literatur kam erst lange nach 1945 oder auch bis heute nicht zur Veröffentlichung. Weitaus häufiger war ein anderer Fall: Die extremen (Über)Lebensbedingungen verhinderten das Entstehen literarischer Texte. Hinzu kam eine Verschärfung der traditionellen geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung in der Exilsituation: Durchweg waren es die Frauen, auf denen die Hauptlast der Alltagsorganisation lag. Zahlreiche Autobiographien geben darüber Auskunft. Für die meisten der emigrierten Autorinnen bedeutete die Vertreibung zugleich das Verstummen als Schriftstellerin, als Dichterin (z.B. Mascha Kaléko). Aus dem Verstummen unter den Bedingungen des Exils wurde allzu oft ein dauerhaftes. Dazu trugen auch die Nachkriegsverhältnisse im Westen Deutschlands bei, wo man die EmigrantInnen 'vergaß' und die Exilliteratur bis in die achtziger Jahre kaum beachtet wurde. Anders war die Situation in der DDR, wo die RemigrantInnen sich am Aufbau des 'anderen' Deutschland beteiligten (ein eigener Komplex, der hier ausgespart bleiben muß, ist die Problematik des Exils in der Sowjetunion).

Nun endet die Exilliteratur nicht mit dem Jahr 1945. Aus verschiedenen Gründen setzte die Aufarbeitung der Erfahrung Exil erst mit zeitlicher Verzögerung ein. Zwei größere Bereiche sind hier zu nennen: autobiographische Schriften und deutsch-jüdische Lyrik. In beiden Gattungen dominieren Autorinnen. Ein wichtiger Unterschied zur Autobiographik von Männern besteht darin, daß Frauen in ihrer rückblickend erzählten Lebensgeschichte das Private und Persönliche nicht aussparen (vgl. z.B. die Erinnerungen von Karola Bloch, Margarete Buber-Neumann, Eva Busch, Lisa Fittko, Ruth Klüger, Lola Landau, Salka Viertel, Charlotte Wolff).

Seit Beginn der nazistischen Verfolgung und Vertreibung spielte gerade Lyrik eine große Rolle: als operative, subjektive, komprimierte, leicht tradierbare und zu rezipierende Form. Selbst aus den Internierungs- und in Konzentrationslagern sind lyrische Zeugnisse überliefert (wie z.B. von Selma Meerbaum-Eisinger, Sylvia Cohn, Ilse Blumenthal-Weiss). Für die meisten jüdischen Lyrikerinnen dieser Generation wurde die Erfahrung des Gerettetseins angesichts der Shoah zum lebenslangen Trauma, das sie schreibend zu bewältigen suchten. Neben den bekannteren Dichterinnen wie Nelly Sachs, Rose Ausländer und Hilde Domin, die erst nach 1945 hervortraten, gehören etwa auch Stella Rotenberg oder Jenny Aloni zu diesem Kreis von Lyrikerinnen. Die Mehrzahl der jüdischen EmigrantInnen ist im Exilland - häufig Israel - geblieben, schreibt aber weiterhin in deutscher Sprache.

© SH

Sekundärliteratur

  • E. Koch / F. Trapp (Hg.): Exil. Forschung. Erkenntnisse. Ergebnisse, Hamburg 1980ff.
  • C. D. Krohn / P. von zur Mühlen / G. Paul / L. Winckler (Hg.): Handbuch der deutschsprachigen Emigration 1933-1945, Darmstadt 1998. (v.a. Kapitel V: Literarisches und künstlerisches Exil).
  • Kunst und Literatur im antifaschistischen Exil 1933-1945 in sechs Bänden, hg. v. der Akademie der Wissenschaften der DDR, Leipzig 1979ff.