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Walter Benjamin

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* 15.07.1892, Berlin
† 26.09.1940, Port-Bou / Spanien

Philosoph, Essayist und Literaturkritiker

Der wichtigste Ideengeber der neueren deutschen Literaturwissenschaft war ein 'gescheiterter Germanist'. Walter Benjamins Dissertation Der Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik (1920) wurde von der Fachöffentlichkeit kaum wahrgenommen, seine Habilitationsschrift Ursprung des deutschen Trauerspiels (1928) von der Frankfurter Universität sogar abgelehnt. Unter immer schwierigeren Bedingungen schlug Benjamin sich in der Weimarer Republik und nach 1933 im Pariser Exil als Essayist (Einbahnstraße, 1928) und Literaturkritiker durch. Sieht man vom großen, allerdings fragmentarisch gebliebenen Projekt des sogenannten Passagenwerks ab (Nachlaßpublikation 1983), so mußte er seine theoretischen Ansprüche und Argumente nun in kurzen literarischen Essays und Rezensionen entfalten oder besser gesagt 'verstecken'. Dabei verbindet er auf überraschende Weise Denkmotive marxistischen wie auch jüdisch-messianischen Ursprungs. Stilistisch vollzieht er eine Wendung von der philosophisch-spekulativen Sprache des Frühwerks zu einer Ausdrucksweise, die deskriptiv und detailgenau, thesenhaft pointiert und 'einfach' zugleich ist (und deshalb bis heute so gern zitiert wird).

Mit seinem Motto Die entscheidenden Schläge werden mit der linken Hand geführt verstand Benjamin noch diesen schwierigen Schaffensbedingungen eine (geschichts-)optimistische Pointe abzugewinnen. Sie konnte der zunehmenden Verzweiflung über die persönliche wie die historisch-politische Lage freilich nicht standhalten: auf der Flucht vor den Nationalsozialisten wählte Benjamin 1940 im französisch-spanischen Grenzort Port Bou den Tod.

Eine verspätete, dann aber umso intensivere Benjamin-Rezeption wurde in der Bundesrepublik Deutschland (und später auch international) durch die von seinem Freund Theodor W. Adorno bewerkstelligten Neuausgaben der Schriften und Briefe möglich.

Die germanistische Literaturwissenschaft hat zunächst Benjamins Beiträge zu kanonischen Themen, also sein Trauerspiel-Buch oder seinen Essay über Goethes Wahlverwandschaften 'nachgearbeitet' und gewürdigt; im Kontext der Studentenbewegung und einer 'kritischen Germanistik' gewann auch seine Methodenkritik aus den zwanziger Jahren neue Aktualität. Die subtilen Essays zu Marcel Proust, Franz Kafka, Karl Kraus, Alfred Döblin und Bertolt Brecht konnten als Wegweiser zur Wiederentdeckung der klassischen Moderne gelesen werden. Besonders aber waren es die von Benjamin selbst als marxistisch verstandenen Überlegungen zum historischen Funktions- und Medienwandel der Künste, die der Literaturwissenschaft neue Fragen und Horizonte öffneten. Abhandlungen und Aufsätze wie Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit oder Der Autor als Produzent, aber auch Der Erzähler (alle um 1935) sind für eine Mediengeschichte der Literatur bis heute durch ihre Fragestellungen, wenn auch nicht immer durch ihre 'Antworten', von erheblichem Anregungswert.

Ist Benjamin zu Lebzeiten als ein schwer einzuordnender Außenseiter erschienen und wie ein Verschollener gestorben, so hat die Rezeptionsgeschichte ihn als bedeutende, auf Dauer bleibende Gestalt der deutschen Literatur und Philosophie erkennbar gemacht, deren produktive Impulse noch nicht ausgeschöpft sind. Heutige Leser/innen sollten sich - ein Paradox der Wirkungsgeschichte - den direkten Weg zu seinen Texten, und den intellektuellen Gewinn und ästhetischen Genuß, den sie versprechen, nicht durch ein unaufhaltsam wachsende Gebirge von Benjamin-Sekundärliteratur versperren lassen.

© JV

Quelle

  • Burkhardt Lindner (Hg.): 'Links hatte noch alles sich zu enträtseln...' Walter Benjamin im Kontext, Frankfurt/M. 1985.

Wichtige Schriften

Sekundärliteratur

  • K. Garber/L. Rehm (Hg.): global benjamin, 3 Bde., München 1999.
  • B. Witte: Walter Benjamin, Reinbek bei Hamburg 1985.