Traktat

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lat. tractatus: Behandlung, Beschäftigung mit

Wie die Übersetzung schon verrät, definiert sich die Form des Traktats über die Behandlung eines einzelnen Themas zu einem bestimmten Zweck. Dabei handelt es sich zumeist um religiöse, philosophische, kulturelle, politische, moralische oder (natur-)wissenschaftliche Themen, die in monologisch-systematischer Form abgehandelt werden. Im Gegensatz zum verwandten Essay wird von einem Traktat keine literarisch elegante Gestaltung erwartet. Der Traktat ist auch historisch gesehen die deutlich ältere Form und stammt bereits aus der Antike. Da er seine Blütezeiten während der Durchsetzung des institutionalisierten Christentums in der Patristik und im scholastischen Mittelalter erlebte, diente er zumeist didaktisch-dogmatischen Zwecken. Im Deutschen hat der Begriff Traktat deshalb - im Gegensatz zum englischen tract oder französischen traité - einen negativen Beiklang: das wird vor allem im Diminutiv Traktätchen als Bezeichnung für kleinere moralisch-religiöse Erbauungsschriften deutlich. Die gelungenen Beispiele der Traktat-Literatur zeichnen sich dem gegenüber gerade durch Überschaubarkeit, Klarheit, Verständlichkeit und eine stringente Durchführung ihres Themas aus.

Entwicklungsgeschichtlich hat sich der Traktat aus Formen populärphilosophischer Vermittlung in der griechischen Antike entwickelt, welche die frühen Vertreter der christlichen Kirche zu Zwecken der moralisch-religiösen Unterweisung weiter entwickelten. In der Scholastik des Hochmittelalters wurde der Themenhorizont um viele theologisch-philosophische Fragen erweitert, so daß schließlich alle bekannten Wissensgebiete auf eine mehr oder weniger sachlich orientierte, einem festen Weltbild verpflichtete Art und Weise im Traktat verhandelt werden konnten. Er bildete damit den Rahmen für die literarisch-wissenschaftliche Überlieferung des jeweils spezifischen Wissensgebiets. Als Textform sind Traktate mittlerweile nicht mehr grundsätzlich an einen bestimmten Sprach- oder Kulturkreis gebunden.

Betrachtet man nämlich die weitere Geschichte der Traktatliteratur, so läßt sich vergröbernd festhalten, daß Autoren, die sich der Säkularisierung und Liberalisierung verpflichtet fühlen, eher die freier assoziierende und zitierende Form des Essays nutzten. Dagegen haben Autoren, die sich entweder in einer religiös oder ideologisch gebundenen Gesellschaftsform bewegen mußten oder sich in einer freieren Gesellschaftsform individuell einem solchen religiös oder ideologisch festen Weltbild verpflichtet fühlten, eher auf die geschlossene Form des Traktats und sein Wertungs- und Appellformen zurückgriffen.

Im 20. Jahrhundert stellen Rückgriffe auf die Traktatform eine Seltenheit dar und nehmen gewissermaßen Zitatcharakter an. Berühmte Beispiele sind Walter Benjamins Ursprung des deutschen Trauerspiels, der Tractat vom Steppenwolf in Hermann Hesses gleichnamigem Roman und Ludwig Wittgensteins erstes sprachphilosophisches Hauptwerk Tractatus logico-philosophicus.

© JK