Michel Foucault: Was ist ein Autor? (1969)

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"Wen kümmert's, wer spricht, hat jemand gesagt, wen kümmert's wer spricht." Dieses Zitat von Samuel Beckett kann als Leitsatz und Essenz des 1969 von Michel Foucault gehaltenen Vortrags Was ist ein Autor? gelten. Die betonte Gleichgültigkeit gegenüber den Autoren von literarischen, juristischen, medizinischen, philosophischen oder anderen Texten resultiert aus Foucaults spezifischem Zugriff auf Literatur. Der Diskursanalytiker verzichtet darauf, einzelne Texte in ihrer Ganzheit zu interpretieren (Hermeneutik), sondern fragt - "viel bescheidener - nach den Funktionsbedingungen bestimmter diskursiver Praktiken." (Autor, S. 9) Es geht über das einzelne Werk hinaus um bestimmte Themen, denn die Diskurse sind ja immer thematisch gebunden. Bei Foucault sind es u.a. die Themen Strafvollzug, Wahnsinn und Sexualität. Er beobachtet diese Diskurse zwar in Texten, verfolgt sie aber über die Grenzen einzelner Texte hinaus. Der Text als Ganzes wird dann - ebenso wie sein Autor - unwichtig. Eine konsequente Diskursanalyse würde also grundsätzlich keine Autorennamen nennen. Ein Verfahren, das für die traditionelle Literaturkritik und -wissenschaft provokant und fast undenkbar ist, denn in unserer heutigen Zeit können "'literarische' Diskurse [...] nur noch rezipiert werden, wenn sie mit der Funktion Autor versehen sind: jeden Poesie- oder Fiktionstext befragt man danach, woher er kommt, wer ihn geschrieben hat, zu welchem Zeitpunkt, unter welchen Umständen oder nach welchem Entwurf. Die Bedeutung, die man ihm zugesteht, und der Status oder der Wert, den man ihm beimißt, hängen davon ab, wie man diese Fragen beantwortet." (Autor, S. 19)

Was Foucault hier als Funktion Autor definiert, wird von ihm als ein Konstrukt analysiert. Es handelt sich um einen Ordnungs- und Aussschließungsmechanismus, der dem Autordiskurs zu eigen ist. So hat der Autor die Funktion, Texte zu gruppieren und diese Texte einem vernunftbegabten individuellen Subjekt zuzuordnen. "Man verlangt, daß der Autor von der Einheit der Texte, die man unter seinen Namen stellt, Rechenschaft ablegt; man verlangt von ihm, den verborgenen Sinn, der sie durchkreuzt, zu offenbaren oder zumindest in sich zu tragen; man verlangt von ihm, sie in sein persönliches Leben, in seine gelebten Erfahrungen, in ihre wirkliche Geschichte einzufügen." (Diskurse, S. 19f). Wie kann diese Forderung etwas ausschließen, oder - um eine andere Formulierung Foucaults zu benutzen - den Diskurs verknappen? Wenn ein Autor und seine Texte als Einheit angesehen werden, und diesem Autor im Rahmen seiner individuellen Geschichte bestimmte Denkweisen zugeordnet sind, dann wird das, was in seinen Texten gesagt wird, verknappt. Denn jeglicher Sinn, der nicht in Bezug zum Autor steht, kommt nicht zur Geltung, obwohl er sprachlich gesehen vorhanden sein mag. So wird die Vieldeutigkeit eines literarischen Textes, das Beunruhigende seiner Sprache aufgelöst und in weniger bedrohliche Bahnen gelenkt. Will der Wissenschaftler etwas anderes oder mehr in den Texten lesen, muß er vom Autor abstrahieren. In Foucaults eigenen Arbeiten resultiert daraus - wie schon oben erwähnt - die Konsequenz, daß er sowohl die Einheit von Autor und Werk wie auch die Einheit des Werkes auflöst, um Diskurse jenseits von Autoren und Textgrenzen zu analysieren.

©rein

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