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* 24. 12. 1906, Berlin
† 23. 01. 1960, Göttingen

germanistischer Literaturwissenschaftler

Ein aktuelles Interesse an Wolfgang Kayser resultiert vor allem aus der intensiven Wirkung, die er als Ordinarius an der Universität Göttingen (1950-1960) auf die deutsche Nachkriegsgermanistik ausübte. Besonders die überaus starke Resonanz seines Hauptwerks Das sprachliche Kunstwerk (1948) machte ihn zu einem der einflussreichsten Literaturwissenschaftler in der frühen Bundesrepublik und hat die methodische Ausrichtung des Faches bis weit in die sechziger Jahre hinein entscheidend geprägt.

Kayers berufliche Biografie weist dabei einige für die deutsche Germanistik insgesamt und für seine Wissenschaftlergeneration typische Widersprüchlichkeiten auf. Mit seiner Dissertation Die Klangmalerei bei Harsdörffer (1932) trug er - ähnlich wie seine Studienkollegen Erich Trunz (nach 1933 bekennender Nationalsozialist) oder Richard Alewyn (nach 1933 wegen seiner jüdischen Herkunft exiliert) zur Begründung einer ernsthaften Erforschung der Literatur des deutschen Barock bei. Seine Habilitationsschrift zur Geschichte der deutschen Ballade (1935) zeigt ihn mit der Betonung des "Völkischen" bereits linientreu im Sinne der Nazis und seines Lehrers Julius Petersen. Trotz Eintritts in die NSDAP (1937) erschien Kayser dem NS-Dozentenbund für eine Professur in Deutschland nicht geeignet. Hingegen konnte er, auf Grund einer zwischenstaatlichen Absprache und gefördert vom Auswärtigen Amt in Berlin, ab 1941 eine Dozentur (bzw. außerordentliche Professur) an der Universität Lissabon wahrnehmen, wo die Germanistik derzeit nicht vertreten war. So wirkte er als halboffizieller Repräsentant "deutscher Kultur" in einem Lande, in dem trotz der formalen Neutralität starke Sympathien für Nazi-Deutschland verbreitet waren. Allerdings gibt es keine Zweifel daran, daß Kayser in politisch-ideologischen Fragen sehr zurückhaltend war und sich soweit möglich, auf Kultur und Literatur konzentrierte. So konnte er auch nach Kriegsende in Lissabon bleiben, obwohl die Dozentur nicht mehr verlängert wurde.

Nachdem er 1946 bereits die (heute noch brauchbare) Kleine deutsche Versschule publiziert hatte, ermöglichte ihm ein staatliches Forschungsstipendium die Abfassung seines Buches Das sprachliche Kunstwerk, das 1948 zugleich portugiesisch und deutsch (in der Schweiz) erschien und lange Zeit als literaturwissenschaftliches Lehrbuch (nicht nur für Germanisten) auch an portugiesischen Universitäten in Gebrauch war.

Von Lissabon aus bemühte sich Kayser um eine Berufung nach Deutschland, die ihn (nach dem einen oder anderen Fehlschlag) 1950 nach Göttingen führte. Dabei haben Empfehlungen aus Lissabon, ein fachliches Gutachten des Züricher Ordinarius Emil Staiger und ein erfolgreich abgeschlossenes Entnazifizierungsverfahren geholfen. In Göttingen, wo er später auch das Amt des Rektors bekleidete, erwarb sich Kayser Achtung und Zuneigung von Kollegen und StudentInnen. In persönlicher Hinsicht wurde seine intensive pädagogische Zuwendung gerühmt; fachlich gesehen haben die Abkehr von der politisierten NS-Germanistik und die europäische Erweiterung des literarischen Horizonts, die er seiner Lissabonner Zeit verdankt, dabei auf produktive Weise zusammengewirkt. Wachsende internationale Anerkennung belegt eine Gastprofessur im Jahr 1955/56 an der Harvard University in Cambridge, Mass., die er zum Abschluss eines groß angelegten und fächerübergreifenden Werks über Das Groteske in Literatur und Kunst nutzen konnte.

Die seit Mitte der sechziger Jahre wachsende Kritik an der Methode der Werkimmanenten Interpretation, die er so erfolgreich durchgesetzt hatte, erlebte Kayser nicht mehr.

© JZ

Wichtige Schriften

Sekundärliteratur