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Käte Hamburger

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* 21.09.1896, Hamburg
† 08.04.1992, Stuttgart

Literaturwissenschaftlerin

Die wegen ihrer jüdischen Herkunft von den Nationalsozialisten ins Exil getriebene Germanistin lehrte nach ihrer Rückkehr an der Stuttgarter Universität und publizierte Studien u.a. zu Thomas Mann und Rainer Maria Rilke. In erster Linie hat jedoch ihre literaturtheoretische Untersuchung Die Logik der Dichtung von 1957 (erweiterte Neufassung 1968) die methodische Neuorientierung der deutschen Germanistik vorangetrieben. Es ist dies ein Versuch, durch Neufassung des aristotelischen Mimesis-Begriffs und in Anlehnung an Positionen der Sprachphilosophie (Karl Bühler u.a.) logische Grundstrukturen der dichterischen Gattungen, besonders aber der Erzählprosa zu bestimmen und von denen des pragmatischen Sprachgebrauchs trennscharf zu unterscheiden.

Die Erzählprosa, oder wie Hamburger durchgehend formuliert, die epische Fiktion ist ihrer Erkenntnis nach "der einzige Ort, wo die Ich-Originität (oder Subjektivität) einer dritten Person als einer dritten dargestellt werden kann" (S. 79). Aus dieser zentralen Bestimmung ergeben sich einige weitere, die insbesondere zur Unterscheidung von fiktionalen und faktualen Texten dienen und inzwischen zum literaturanalytischen Grundwissen zählen:

- Grundform des fiktionalen Erzählens ist das epische Präteritum, das nicht temporale Vergangenheit, sondern eben den fiktionalen Status des Textes anzeigt und sich auf überraschende Weise mit Zeitbestimmungen der Gegenwart oder Zukunft verbinden kann ("Morgen war der gefürchtete Dritte", H. v. Kleist, Die Marquise von O...).

- Textinterne Fiktionalitätssignale stellen auch die erlebte Rede sowie die Verben des Wahrnehmens, Denkens und Fühlens in der dritten Person dar, die in nichtfiktionaler Sprachverwendung nicht 'erlaubt' bzw. plausibel sind (Kleists Marquise "litt an Übelkeiten, Schwindeln und Ohnmachten und wußte nicht, was sie aus diesem sonderbaren Zustand machen sollte").

Hamburgers theoretische Einsichten wurden in der deutschen Literaturwissenschaft bis in die siebziger Jahre hinein heftig, diskutiert, differenziert und in manchen Punkten überholt. Insbesondere ihre Ausklammerung der "Ich-Erzählung" aus dem Feld der erzählerischen Fiktion hat (berechtigten) Widerspruch erfahren. Dennoch (oder gerade wegen solcher intensiven Debatten) ist Die Logik der Dichtung ein herausragendes Beispiel für die methodische Versachlichung und Modernisierung der Literaturwissenschaft in einer Zeit, die von der gefühlsorientierten, für Irrationalismen aller Art anfälligen werkimmanenten Interpretation dominiert wurde. Auch in der internationalen Narratologie gilt sie bis heute als wichtiger historischer Bezugstext.

© JV

Quelle

  • Die Logik der Dichtung (1957, 2. erw. Aufl. 1968), Frankfurt/Main 1980.

Sekundärliteratur

  • J. Vogt: Aspekte erzählender Prosa. Eine Einführung in Erzähltechnik und Romantheorie, 7. Auflage, Opladen/Wiesbaden 1990, Kap. 1.
  • K. Weimar: Kritische Bemerkungen zur "Logik der Dichtung", in: DVjs 48 (1974), H.1, S.10-14.
  • H. Weinrich: Tempus. Besprochen und erzählte Welt, Stuttgart 1971.