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Vormärz

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Der März 1848 - also der Monat, in dem die in Paris ausgebrochene Revolution nach Berlin kam - dient als Endpunkt dieses Epochenbegriffs, der in der französischen Juli-Revolution 1830 seinen Ausgangspunkt hat. In allen europäischen Ländern wurde die Epoche von zwei großen historischen Kräften erfaßt: vom Nationalismus, dessen Verhältnis zur tatsächlichen deutschen Reichsgründung 1871 zum Problem werden sollte, und vom Liberalismus, der in verschiedenen Schattierungen, vom gemäßigten Konstitutionalismus bis hin zum Kommunismus, an der Überwindung des Feudalsystems bzw. des Absolutismus arbeitete.

Die traditionelle Literaturgeschichtsschreibung hebt im Vormärz besonders die Gruppierung "Junges Deutschland" hervor. Diese Gruppe - 1835 unter gesamtdeutsches Publikationsverbot gestellt - war aber weitgehend eine Erfindung der Zensur, denn die Beziehungen unter den Autoren - Karl Gutzkow, Heinrich Heine, Heinrich Laube, Theodor Mundt, Ludolf Wienbarg - waren äußerst locker. Dennoch markieren diese Autoren (wie etwa auch Ludwig Börne und Georg Büchner) einen entscheidenden Wendepunkt im deutschen Kulturleben, und zwar unter drei verschiedenen Aspekten:

1. Aktualisierung und Politisierung der schriftstellerischen Praxis: Sie zeigte sich in der Fortführung und im Ausbau der publizistischen Tradition seit der Aufklärung und in der aktiven Teilnahme am Literaturmarkt. Der diesbezügliche Lernprozeß, den viele - in erster Linie aber Heine und Börne - in ihrem Exil in Paris durchmachten, wirkte sich auf die ganze Gruppe aus. Dies war - unter anderem - der Grund für den immer wieder gemachten Vorwurf einer 'Überfremdung' der Gruppe.

2. Orientierung der Literatur an Zeit - und Gesellschaftskritik - hier versuchten die Autoren, die weltfremd gewordenen Traditionen der deutschen Klassik und Romantik durch die Teilnahme an der - von den Bürgern bewußt mitzugestaltenden - Geschichte zu erneuern.

3. Teilnahme von Schriftstellern an den modernen, sozial orientierten philosophischen Strömungen der Zeit: Hier spielten nicht nur der Saint-Simonismus, sondern auch die Religions- und Moralkritik im Umkreis der Junghegelianer (besonders Ludwig Feuerbach) eine bedeutende Rolle.

Viel wichtiger aber als die kleine Literatengruppe selbst war die Verbreitung der drei genannten Tendenzen in den vierziger Jahren, die man immer stärker als vorrevolutionäre Zeit empfand. Ausgelöst wurde die Politisierung der Dichtung (gegen die Heine in bekannt gewordenen Texten, vor allem seinem satirischen Versepos Atta Troll durchaus Protest einlegte) 1840 durch die sogenannte Rhein-Krise (Protest gegen die mögliche Annexion des Rhein-Gebiets durch Frankreich), in der die nationale Tendenz des Vormärzes deutlich zum Ausdruck kam. Das heute noch umstrittene Deutschlandlied (1841) von Hoffmann von Fallersleben ist Produkt dieser Stimmung. 1844 zeigte sich im Elend der schlesischen Weber die soziale Dimension der Krisenhaftigkeit der Zeit. Heines Weberlied - wie auch seine Nähe zu Karl Marx - hat exemplarischen Charakter, obwohl auf einer qualitativen Ebene weder die vielen Weber-Texte (z.B. Ernst Willkomms Romane) noch die zahlreichen Beschwörungen einer sozialen Revolution an Heine heranreichen.

Die Vormärz-Forschung hing - in ihren Tendenzen und in ihrem Ausmaß - immer von der jeweiligen Einstellung zu Heine ab. Zu Zeiten, als der Antisemitismus bzw. die Ablehnung jeder Form von Sozialismus Heine ungern in die deutsche Tradition aufnehmen wollte, lag der Schwerpunkt dieser Epoche im nationalen, teilweise auch liberalen Schrifttum. In der Bundesrepublik der frühen siebziger Jahre sowie generell in der DDR stieg das Interesse an der Periode, nicht nur unter ideologischen Aspekten, sondern aus der Perspektive einer materiellen Erforschung des frühen Literaturmarktes.

©HR

Sekundärliteratur

  • J. Hermand: Der deutsche Vormärz, Stuttgart 1976.
  • H. Koopmann: Das Junge Deutschland, Stuttgart 1970.
  • W. Wülfing: Junges Deutschland, München 1978.